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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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war denn nicht in Ordnung? Hat er euch misshandelt?«
    »Misshandelt, was für ein großes Wort.« Sie nahm die Proseccoflasche und goss ihr Glas wieder voll. »Mein Vater hatte grundsätzlich recht«, sagte sie. »Und wehe, jemand vertrat eine andere Meinung. Der hatte mit Konsequenzen zu rechnen. Meinem Vater widersprach man nicht. Er war ein kleiner Herrgott in seinem selbstgeschaffenen Reich. Er lebte nach seinen eigenen Gesetzen. Die hatte der Rest der Familie zu befolgen. Oder wir wurden hart bestraft. Er war gebildet, ja, er schrieb Bücher und betrachtete Eric und mich als Störenfriede. Wir hatten zu funktionieren und uns ruhig zu verhalten. Was glaubst du, warum ich nie Freunde mit nach Hause bringen durfte? Weil die meinen Vater hätten stören können. Dabei war er ein Nichts. Eine Null.«
    Der letzte Satz klang furchtbar verächtlich.
    »Meine Mutter ist an ihm zerbrochen. Irgendwann hat sie resigniert. Sie kam aus einem guten Elternhaus, war eine höhere Tochter, gebildet, sie konnte Klavier spielen. Bevor sie meinen Vater kennenlernte, war sie rank und schlank und ein fröhliches Mädchen. Ich habe ihre Tagebücher gefunden. Darin sprüht sie geradezu vor Lebensfreude. Dick und depressiv wurde sie erst während der Ehe, da hat sie sich einen Schutzpanzer angefressen, um diesen Mann, der sich mein Vater schimpfte, irgendwie ertragen zu können. Er verbot ihr alles, was Spaß machte. Klavier spielen durfte sie nicht mehr. Das hat er als Lärm empfunden. Als ich heimlich versuchte, mir das Klavierspielen selbst beizubringen, wurde ich in Grund und Boden geschimpft. Ich sehe noch genau vor mir, wie ich wie ein begossener Pudel vor ihm stand und mir seine Schimpftiraden anhören musste. Niemand hat mir geholfen. Auch meine Mutter nicht.« Hektisch nahm sie ihr Glas. Auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken. »Mich konnte er nicht leiden. Was meinst du, wie oft er mich gemaßregelt hat? Wegen nichts und wieder nichts. Alles, was passierte, war meine Schuld. Auch das, was im Schrebergarten geschehen ist, war natürlich meine Schuld.« Ludmillas Blick war herausfordernd. Sie ließ Franca nicht aus den Augen.
»Was ist im Schrebergarten passiert?« Franca hatte mit einem Mal ein äußerst ungutes Gefühl.
    »Das weißt du doch ganz genau.« Milla starrte sie weiter an. Ihre Stimme klang hart.
    »Was meinst du? Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Ich kann mich ja nicht mal daran erinnern, dass ihr einen Schrebergarten hattet.«
    Milla stellte ihr Glas mit einem unschönen Geräusch ab. Sie fixierte Franca ununterbrochen. »Der Mensch neigt dazu, die hässlichen Dinge zu verdrängen. Ist mir schon klar.«
    Francas Unbehagen steigerte sich. Mit solchen unerwarteten Stimmungsumschwüngen konnte sie ganz schlecht umgehen. Vor allem, wenn deren Ursache für sie nicht nachvollziehbar war. »Ich weiß wirklich nicht, worauf du hinauswillst«, sagte sie resigniert.
    »Soll ich dir auf die Sprünge helfen? Ja? Es war ein wunderschöner Ferientag, die Vögel zwitscherten. In unserem Schrebergarten stand eine Zinkwanne, die hatte meine Mutter für uns Kinder aufgestellt, damit wir darin planschen konnten. Ich trug einen grünen Badeanzug mit rosa Blümchen, er war aus Baumwollstoff. Daran war ein kleines Röckchen, das sich hob, wenn man damit im Wasser untertauchte. Niemand von den Erwachsenen war in der Nähe. Aber du warst ja da. Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass du zu mir kommst und mit mir spielst. Doch du hast es vorgezogen, bei den anderen Mädchen zu bleiben. Draußen auf dem Weg.«
    Franca versuchte, sich die geschilderte Situation zu vergegenwärtigen. In den Ferien war sie oft früh morgens mit einigen Freundinnen losgezogen. Irgendwo hatten sie sich einen Platz zum Spielen gesucht. Aber an eine Schrebergartenkolonie konnte sie sich einfach nicht erinnern.
    Milla löste ihre zusammengekrampften Hände voneinander und begann, auf ihren Daumennagel zu beißen. »Ich hab dir das sehr übel genommen, weißt du.«
    »Was denn, um Gottes willen? Dass ich nicht mit dir spielen wollte?«
    »Dass du mich allein gelassen hast mit diesen beiden Jungs. Die waren doch deine Freunde.«
    »Von wem sprichst du?«
    »Von Harald und Ingo.«
    »Harald und Ingo?« Wieder versuchte Franca, ihre Erinnerung zu aktivieren, aber da waren nur Schemen, keine richtigen Gesichter.
    »Harald nannten wir Mecky. Wegen seiner kurz geschorenen Haare.«
    »Ach so, Mecky. Ja. Aber die beiden kannte ich kaum. Überhaupt: Was willst du mir

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