Engelslicht
Einzelnen von ihnen an und sie fand sie wunderschön. Sie beobachteten sie mit einem Ausdruck sprachloser Freude auf den Gesichtern. Und sie weinten.
Das Geschenk der Selbsterkenntnis, hatte Dee zu ihr gesagt. Du darfst nicht vergessen, dass du das träumst, was du bereits weißt.
All dies war die ganze Zeit über in ihr gewesen, in jedem Moment in jedem ihrer Leben. Doch erst jetzt fühlte Luce sich wach, eine Wachheit, die ihr Vorstellungsvermögen, was es bedeutete, wach zu sein, überstieg. Ein leichter Wind wehte ihr über die Haut, und sie konnte das ferne Meer fühlen, das auf ihm herangetragen wurde und das ihr sagte, dass sie immer noch in Troja war. Auch ihre Sicht war klarer, als sie es je zuvor gewesen war. Sie sah leuchtende Pigmentpunkte, aus denen die Flügel eines vorbeifliegenden goldenen Schmetterlings bestanden. Sie sog die kalte Luft ein, füllte ihre Lungen, roch das Zink in dem Lehmboden, das ihn im Frühling fruchtbar machen würde.
»Ich war dort«, flüsterte sie. »Ich war im …«
Himmel.
Aber sie konnte es nicht sagen. Sie wusste zu viel, um es zu leugnen – und doch nicht genug, um die Worte auszusprechen. Daniel. Er würde ihr helfen.
Mach weiter, flehten seine Augen.
Wo hatte sie angefangen? Sie berührte das Medaillon mit dem Bild, das aufgenommen worden war, als sie und Daniel in Mailand gelebt hatten.
»Als ich mein früheres Leben in Helston besucht habe«, begann sie, »habe ich erfahren, dass unsere Liebe tiefer ging, als wir sie in jedem unserer Leben erfahren haben …«
»Ja«, sagte Daniel. »Unsere Liebe übersteigt alles.«
»Und … als ich Tibet besucht habe, habe ich erfahren, dass eine einzelne Berührung oder ein einzelner Kuss nicht der Auslöser meines Fluches waren.«
»Nicht Berührung.« Rolands Stimme. Lächelnd stand er neben Daniel, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Nicht Berührung, sondern Selbsterkenntnis. Eine Bewusstseinsebene, für die du nicht bereit warst – bis jetzt.«
»Ja.« Luce berührte sich an der Stirn. Da war mehr, so viel mehr. »Versailles.« Sie sprach schneller. »Ich war verurteilt, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte. Und dein Kuss hat mich erlöst, und mein Tod war wunderbar, weil wir einander immer wiederfinden würden. Immer.«
»Wir gehören zusammen wie der Wind und das Meer«, krähte Arriane und wischte sich die feuchten Augen an Rolands Hemdärmel ab.
Inzwischen war Luces Kehle so zugeschnürt, dass es ihr schwerfiel zu sprechen. Aber sie schmerzte nicht mehr. »Ich habe erst in London begriffen, dass dein Fluch viel schlimmer war als meiner«, sagte sie zu Daniel. »Was du durchmachen musstest, mich zu verlieren …«
»Es hat nie eine Rolle gespielt«, murmelte Annabelle, deren Flügel so stark summten, dass ihre Füße eine Handbreit über dem Boden schwebten. »Er würde immer auf dich warten.«
»Chichén Itzá.« Luce schloss die Augen. »Ich habe gelernt, dass die Herrlichkeit eines Engels für Sterbliche tödlich sein kann.«
»Ja«, bestätigte Steven. »Aber du bist immer noch hier.«
»Mach weiter, Luce.« Francescas Stimme war ermutigender, als sie es je an der Shoreline gewesen war.
»Das alte China.« Sie schwieg. Die Bedeutung dieses Lebens unterschied sich von der der anderen. »Du hast mir gezeigt, dass unsere Liebe wichtiger ist als jeder Krieg.«
Niemand sprach. Daniel nickte kaum merklich.
Und das war der Moment, in dem Luce nicht nur begriff, wer sie war – sondern worauf es alles hinauslief. Sie holte tief Luft.
Denk nicht an Bill, sagte sie sich. Du hast keine Angst.
»Als ich in dem Grab in Ägypten eingeschlossen war, wusste ich ein und für alle Mal, dass ich mich immer für deine Liebe entscheiden würde.«
Das war der Moment, in dem die Engel sich auf ein Knie niederließen und sie erwartungsvoll anschauten – alle bis auf Daniel. Seine Augen leuchteten in dem kräftigsten Violett, das sie je gesehen hatte. Er streckte die Hände nach ihr aus.
»Au!«, rief Luce, als ihr ein scharfer Schmerz durch den Rücken schnitt. Sie verkrampfte sich unter einem fremden, durchdringenden Gefühl. Ihre Augen tränten. Ihre Ohren klingelten. Sie dachte, dass sie sich vor Schmerzen übergeben würde. Aber langsam konzentrierte sich der Schmerz, der ihren ganzen Rücken umfasst hatte, auf zwei kleine Bereiche oben auf ihren Schulterblättern.
Blutete sie? Sie griff hinter sich, über ihre Schulter. Die Wunde fühlte sich empfindlich und roh an und außerdem so, als
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