Engelslicht
blutverschmiert – als sei sie in tausend Stücke zerschmettert worden.
Als sei sie aus einer unvorstellbaren Höhe gefallen.
Luce blickte zum Himmel. Da war etwas – eine Menge unendlich kleiner Funken, als habe der Himmel einen Stromschlag erlitten und würde bis in ewige Zeiten Schockwellen aussenden.
Nur dass die Funken näher kamen. Dunkle Gestalten, in Licht gehüllt, stürzten von oben aus einer Unendlichkeit. Es musste eine Million von ihnen dort oben versammelt sein, dunkel und hell, schwebend und fallend zugleich, als seien sie außerhalb der Reichweite der Schwerkraft.
War Luce dort oben gewesen? Sie hatte beinahe das Gefühl, dass es so war.
Dann wurde ihr etwas klar: Das waren die Engel. Es war der Sturz.
Die Erinnerung daran, Zeuge ihres Sturzes zur Erde geworden zu sein, quälte Luce. Es war, als beobachte man, wie alle Sterne aus dem Nachthimmel fielen.
Je weiter sie fielen, desto mehr löste sich ihre ziellose Formation. Einzelne Wesen wurden sichtbar, autonom. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass einer ihrer Engel, ihrer Freunde, jemals so ausgesehen hatte. Verlorener und unkontrollierter als der ärmste Sterbliche am schlimmsten Tag seines Lebens. War Arriane darunter? Cam?
Ihr Blick folgte einer Lichtkugel genau über ihr. Sie wurde größer und heller, je näher sie kam.
Daniel schaute ebenfalls auf. Luce begriff, dass er die stürzenden Formen ebenfalls nicht erkannte. Sein Aufprall auf der Erde hatte ihn so gründlich durchgeschüttelt, dass er seine Erinnerung daran verloren hatte, wer er war, woher er gekommen war, wie prächtig er einmal gewesen war. Er beobachtete den Himmel mit nacktem Entsetzen in den Augen.
Ein paar vereinzelte fallende Engel waren in einer Sekunde nur noch Hunderte von Metern über ihnen … und dann nah genug, dass Luce die merkwürdigen dunklen Körper im Inneren der Lichtgefäße erkennen konnte. Die Körper bewegten sich nicht, schienen aber unleugbar am Leben zu sein.
Sie fielen immer dichter und stürzten auf Luce zu, bis sie schrie – und die große Masse aus Dunkel und Hell krachte in das Feld neben ihr.
Eine Explosion aus Feuer und schwarzem Rauch schleuderte Daniel fort, sodass Luce ihn nicht mehr sehen konnte. Es kamen immer mehr – noch über eine Million. Sie würden die Erde und jedes Lebewesen darauf zu Brei schlagen. Luce duckte sich und schützte die Augen und öffnete den Mund, um wieder zu schreien.
Doch das Geräusch, das ihr entfuhr, war kein Schrei …
Denn die Erinnerung hatte sich in eine andere verwandelt, die noch weiter zurücklag. Weiter zurück als der Sturz?
Luce war nicht mehr auf dem Feld mit den rauchenden Kratern und den kometenhaften Engeln.
Sie stand in einer Landschaft aus reinem Licht. Jeder Schrecken in ihrer Stimme gehörte nicht hierher, konnte an diesem Ort nicht existiert haben, diesem Ort, den sie kannte und doch nicht kannte. Sie hatte eine Ahnung, wo sie war, aber es konnte unmöglich wahr sein.
Aus ihrer Seele strömte ein starker, voller Musikakkord, der so schön war, dass er alles um sie herum in Weiß tauchte. Der Krater war fort. Die Erde war fort. Ihr Körper war …
Sie wusste es nicht. Sie konnte es nicht sehen. Sie konnte nichts sehen außer diesem fantastischen, silbern gefärbten, weißen Leuchten. Die Helligkeit entfaltete sich wie ein Päckchen, bis Luce eine gewaltige weiße Wiese ausmachen konnte, die sich vor ihr erstreckte. Prächtige Haine weißer Bäume säumten sie zu beiden Seiten.
In der Ferne erhob sich ein gewellter silberner Altar. Luce spürte, dass er wichtig war. Dann sah sie, dass es sieben weitere gab, die einen großen Bogen um etwas herum bildeten, das so hell war, dass Luce es nicht ertragen konnte, hinzusehen.
Sie konzentrierte sich auf den Altar, den dritten von links. Sie konnte den Blick nicht davon losreißen. Warum?
Weil … ihre Erinnerung spulte zurück … weil …
Dieser Altar gehörte ihr.
Vor langer Zeit hatte sie hier gesessen, neben … wem? Es schien wichtig zu sein.
Ihre Vision verwirbelte und verblasste, der silberne Altar löste sich auf. Das verbliebene Weiß wurde schärfer, teilte sich in Formen, in …
Gesichter. Körper. Flügel. Ein Hintergrund aus blauem Himmel.
Dies war keine Erinnerung. Sie war zurück in der Gegenwart, in ihrem echten und letzten Leben. Um sie herum standen ihre Lehrer Francesca und Steven, ihre Verbündeten, die Outcasts, ihre Freunde Roland, Arriane, Annabelle und Cam. Und ihre Liebe, Daniel. Sie sah jeden
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