Engelslied
so wundervoll weich – Elena war schwer versucht, sie schnell einmal zu berühren, was natürlich einem gesellschaftlichen Selbstmord gleichgekommen wäre.
»Entzückend, die kleinen Tische dort«, lobte Hannah, während Elena immer noch mit dem sehr unzivilisierten Impuls rang, der nun wirklich nicht zur Gemahlin eines Erzengels passte. »Wer hat sie entworfen?«
»Ich glaube, ich gestehe lieber gleich mein Unwissen.« Elena, die sich Hannah gegenüber auf einem zweiten Kanapee niedergelassen hatte, hob bedauernd die Hände. »In Inneneinrichtungsfragen bin ich als Gemahlin eine Versagerin, da verdiene ich allerhöchstens eine Vier.«
»Mir würde man wohl eine Sechs in Selbstverteidigung geben müssen.« Funkelnde Augen, verschwörerisches Flüstern. »Elias hat sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, als mir jetzt beizubringen, wie man notfalls mit dem Pinsel ins Auge des Gegners sticht.«
»Eine glänzende Strategie für jemanden, der immer einen Pinsel zur Hand hat.« Nachdenklich tippte sich Elena mit dem Finger auf die Unterlippe. Welches Werkzeug gehörte sonst noch zu Hannahs Handwerk? »Aodhan habe ich einmal mit einem Farbspachtel arbeiten sehen«, sagte sie. »Damit könnte man jemandem die Gurgel durchschneiden.«
»Ich wusste, deine Gemahlin ist eine kluge Frau, Raphael!« Lächelnd setzte sich Elias neben Hannah, aber Elena war sich der unter seiner Haut pulsierenden tödlichen Kraft durchaus bewusst. In diesem Moment begriff sie, was ihre Freunde vor sich sahen, wenn sie Raphael begegneten, warum andere, nun auch nicht gerade zimperlich veranlagte Jägerinnen sie zu ihrem Mumm beglückwünschten, weil sie es wagte, mit solch einem Geschöpf ins Bett zu gehen.
Als Raphael sich neben sie auf den feinen Bezug des Kanapees setzte und ihre Flügel einander überlagerten, griff sie nach seiner Hand.
Ich bin froh, dass wir diesen Abend trotz der widrigen Umstände nicht abgesagt haben.
Sicher: Die politische Allianz sollte und musste ihr vordringlichstes Ziel sein, aber Elena lernte gleichzeitig noch eine warmherzige Frau kennen, die ehrlich an ihr interessiert schien. Hannah würde nicht nur verstehen, unter welchem Druck man als Gemahlin eines Erzengels unausgesetzt stand. Mit ihr war eine Freundschaft denkbar, die sie durch kommende Jahrtausende tragen könnte.
Denn falls sie die bevorstehenden Konflikte überlebten, würde unausweichlich der Tag kommen, an dem sie ohne nachzudenken zum Telefon griff und ihr dann erst einfiel, dass ihre beste Freundin nicht mehr lebte, Saras helles Licht verglommen war, um in die ewige Ruhe einzugehen. Mit Sara konnte sie schlecht über so etwas reden, die schalt sie eine dumme Gans und befahl ihr, sich bloß nicht allzu viele Gedanken um Dinge zu machen, die noch in weiter Ferne lagen. Trotzdem brach Elena schier das Herz bei der Vorstellung, irgendwann ohne Saras Liebe und Wärme leben zu müssen.
»Elena?«, setzte Hannah an.
Elena schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle festgesetzt hatte. »Ellie«, sagte sie. Sie hatte Sara versprochen, Hannah eine echte Chance zu geben, die andere Gemahlin nicht durch falsche Loyalitätsvorstellungen geleitet auf Distanz zu halten. »Meine Freunde nennen mich Ellie.«
»Dann ehrt es mich, dich auch so nennen zu dürfen, Ellie.« Das Essen dauerte Stunden, verlief aber reibungslos, die Konversation munter und ungezwungen. Da Elena wusste, dass Hannah sich lieber aus der Engelspolitik heraushielt, hatte sie sich, obwohl sie selbst der Unterhaltung zwischen Elias und Raphael liebend gern gelauscht hätte, bereit erklärt, sich nach der Mahlzeit mit der Besucherin zu einem ruhigen Gespräch unter Frauen in ihre Privaträume zurückzuziehen. Aber als sie das Hannah nach dem Essen vorschlug, lehnte diese ab. »In solch düsteren Zeiten muss eine Gemahlin an der Seite ihres Erzengels stehen«, sagte sie leise, aber mit entschlossener Miene.
Sofort wandte sich die Unterhaltung wirklich wichtigen Dingen zu, wurde aber kurz unterbrochen, als Raphael von Galen die Nachricht erhielt, die Gefallenen seien zu Hause angekommen. Gut eine Minute lang sagte niemand mehr etwas. Danach konzentrierte sich das Gespräch der beiden Erzengel überwiegend auf die Auswirkungen der Kaskade.
Die Uhr schlug gerade Mitternacht, als Elias eine entscheidende Frage stellte. »Ich höre, du hast die Kraft erworben, Lijuans Macht auszuschalten, zu negieren?«
Schweigen senkte sich über den großen Raum, selbst die Luft schien sich nicht
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