Engelslied
im Kader zusammengebracht«, sagte er zu Elias, während sie ihren Frauen folgten. »Ob das so klug war?«
»Ah … aber hätten wir es denn verhindern können?«
Die beiden tauschten Blicke, mit denen niemand anderes im Kader etwas hätte anfangen können. Raphael führte seinen Gast durch den Haupteingang in sein Haus, denn das Abendessen sollte in dem riesigen Wohn- und Esszimmer stattfinden, das gleich neben der Eingangshalle lag. Ein Raum, mit dem man imponieren konnte, immens hohe Decke, der Fußboden aus edlem, von Hand geschliffenem Holz und hohe Bogenfenster, durch die hindurch je nach Tageszeit Sonnen- oder Mondlicht fiel.
Elena hatte nach ihrem Einzug einen einzigen Blick hineingeworfen und dann verfügt, dass ab jetzt am Tisch neben dem Fenster in der Bibliothek gegessen werde, sie wünsche sich ohne die Hilfe eines Megafons mit dero Erzengelhoheit zu unterhalten.
Hast du dein Megaphon dabei, Gildejägerin?,
erkundigte sich Raphael jetzt spöttisch, während Montgomery und seine Leute Champagner und kleine Vorspeisen auftrugen, um sich gleich darauf wieder diskret zurückzuziehen.
Die Frage trug ihm einen Blick aus zusammengekniffenen Augen ein.
Und wo, bitte, sollte ich bei diesem Kleid ein Megaphon unterbringen? Unter diesen hautengen Stoff passte ja noch nicht mal ein Höschen, das hätte den ganzen Pfiff zunichtegemacht.
Das Bild ließ Raphaels Blut in Wallung geraten. Glücklicherweise schienen die Besucher abgelenkt. »Sieh nur, Elias!«, rief Hannah gerade staunend, indem sie ihren Gemahl zu dem Bild zog, das die hintere Zimmerwand beherrschte. Es stellte die Zufluchtsstätte dar und war eine bezaubernde Studie in fast schon schmerzhaft leuchtendem Blau und glänzendem Weiß vor einem felsgrauen Hintergrund. Nur die aufwendig und detailliert dargestellten Flügel der über die Stadt fliegenden Engel erstrahlten in allen Farben des Regenbogens.
»Das da ist Dahariel.« Fast schon ehrfürchtig zog Hannah Flügel nach, die in ihrer Zeichnung und Farbgebung denen eines Adlers glichen. Allerdings galt ihre Bewunderung, wie Raphael genau wusste, nicht dem Engel, dessen Namen sie gerade genannt hatte, sondern dem Künstler, der diesen Engel im Flug auf die Leinwand gebannt hatte. »Und das ist ja auch Galen mit drei von Jessamys Kleinen!«
»Das Werk stammt vom Kolibri«, bemerkte Elias leise.
»Nein!«, widersprach seine Gemahlin. »Es ist von Aodhan.«
Elias beugte sich mit zusammengekniffenen Augen näher zur Leinwand. »Und wo bitte schön siehst du die Signatur?«
»Keiner der beiden signiert seine Arbeiten so, wie es sonst gemacht wird«, entgegnete Hannah unwillig. »Wir müssen im Bild nach dem entsprechenden Hinweis suchen.«
Du trägst kein Höschen, obwohl außer mir noch ein anderer Mann im Raum ist?
Forschend glitt Raphaels Hand Elenas Wirbelsäule entlang, suchte nach Stoff unter dem dünnen Kleid, fand aber nur feste, weibliche Muskeln.
Du hast wirklich keines an.
Elena zuckten die Schultern, in ihre Wangen hatten sich tiefe Grübchen gegraben.
Hab ich dich endlich mal schockieren können?
Sie stützte sich mit den Händen an seiner Brust ab und starrte krampfhaft zu Boden, damit man die Lachtränen in ihren Augen nicht sah.
Willst du noch etwas wissen? Das mit dem Höschen war unmöglich, aber ein Messer habe ich durchaus unterbringen können. Es steckt in einem Schenkelfutteral.
Natürlich! Was scheren dich Höschen, solange du scharfen Stahl haben kannst.
Hör auf!
Ihre Schultern zuckten immer stärker und mit ihnen die Haarnadeln mit den feinen Diamantköpfen, die den Haarknoten in ihrem Nacken zusammenhielten und in deren Juwelen sich das Licht brach. Ihre Hände versengten Raphael durch den gestärkten Stoff des Smokinghemds hindurch die Haut.
Ich versuche hier, die elegante, anmutige Gemahlin zu geben.
Er legte ihr die Hand in den Nacken und drückte sanft zu.
Achtung! Unsere Gäste werden sich gleich umdrehen.
Jeden Blickkontakt mit Raphael sorgsam vermeidend – nicht auszudenken, wenn sie jetzt doch noch loslachte –, führte sie die Besucher in den Wohnzimmerbereich des großen, offenen Raumes.
»Was für ein wunderschönes Zimmer!« Hannah setzte sich auf ein elegantes, mit Goldbrokat überzogenes Kanapee (ein Möbelstück, dessen Namen Elena erst in diesem Haus gelernt hatte) und ließ ihre Flügel anmutig über die Rückenlehne fließen. Die Federn an diesen Flügeln zeigten ein sattes Cremeweiß mit einem Hauch Pfirsich auf den Handschwingen. Sie wirkten
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