Engelslied
letztendlich zu einem blutrünstigen Monster hatte werden lassen. Michaela war wie eine dieser mordenden Spinnen: Wer sich mit ihr paarte, wurde hinterher von ihr gefressen.
»Sollte ich mehr erfahren, werde ich es dich wissen lassen – wenn du das Gleiche tust«, sagte Elias, als alle vier vor dem Haus standen. Er streckte dem anderen die Hand hin, um den Pakt zu besiegeln.
Raphael nahm das Angebot an, indem er die Rechte um Elias’ Unterarm legte. Elias erwiderte die Geste. So schüttelten Krieger sich die Hände. »Dann ist es also beschlossene Sache.«
»Mein erster offizieller Auftritt als deine Gemahlin in deinem Heim!« Elena unterdrückte ein Gähnen, während sie Hannah und Elias nachschaute, die schon sehr weit oben am Himmel flogen. »Ich würde sagen: ein voller Erfolg!«
»Irgendwie bereitet mir Elias’ Kooperationsbereitschaft Sorgen.« Raphael legte den Arm um sie, um sie an seine Brust zu ziehen. »So bereitwillig teilt kein Erzengel Informationen mit einem anderen.«
»Bereitwillig?« Elena umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. »Ihr habt sechs Stunden gebraucht, um zur eigentlichen Sache zu kommen. Wie zwei Tiger, die umeinander herumschleichen und sich einfach nicht entscheiden können, ob sie nun Freunde sein oder sich gegenseitig auffressen wollen. Ich fand es sehr anstrengend, das mitzuverfolgen.«
»Erst Brautschau, jetzt Tiger?« Er fuhr mit der Hand ihre Wirbelsäule nach, und als sie daraufhin erneut gähnte, zog er sie Richtung Haus. »Du musst dich ausruhen. Hannah kann eine Nacht ohne Schlaf gut wegstecken, aber du bist noch ein Baby, was die Unsterblichkeit betrifft.«
»Aber warum bin ich denn bloß so müde?«, murmelte Elena. »Auf der Akademie habe ich oft die Nächte durchgepaukt und die Prüfung am nächsten Tag trotzdem mit Bravour bestanden.«
Er legte ihr die Hand auf die seidige Kurve ihrer Hüfte und küsste ihren unwillig verzogenen Mund. »Du wirst unsterblich, Elena. In deinem Körper kommt keine einzige Zelle mehr richtig zur Ruhe.«
Sie blieb stehen. »Stört dich das denn nicht?«
Er hob ihr Kinn an, um ihr in die Augen sehen zu können, erstaunt darüber, wie klein und verletzlich sie bei dieser Frage geklungen hatte. »Was soll mich stören? Dass meine Gemahlin ihren Schlaf braucht?«
Offenbar hatte er ihre Frage nicht verstanden. »Ja«, sagte sie seufzend. »Und das wohl auch noch lange, lange Zeit.« Als Mensch war Elena stärker gewesen als die meisten, wodurch es ihr noch schwerer fiel, ihre jetzige Schwäche als Unsterbliche zu akzeptieren. »Momentan könnte mich ja sogar Hannah in einem Kampf besiegen, obwohl sie von so etwas ganz sicher keine Ahnung hat. Sie braucht einfach nur durchzuhalten, bis ich zu müde und zu schwach bin, um weiterzumachen.«
Raphael zog die rechte Braue hoch. »Das stelle ich mir anders vor. Sollte es zwischen euch beiden zu einem Kampf auf Leben und Tod kommen, würdest du ihr innerhalb der ersten zehn Sekunden den Kopf abschlagen. Zehn Sekunden später hättest du ihr das Herz herausgetrennt, und zum Schluss würdest du noch ihren Leib verbrennen, damit sie auch ja nicht wieder aufersteht.«
Die schnelle, kaltblütige Antwort ließ Elena verwundert blinzeln. »Meinst du wirklich, dazu wäre ich in der Lage?«
»Sollte sich Hannah als Bedrohung für mich oder die anderen, die du liebst, erweisen, ja.« Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, die er ihr jetzt wie ein schamloses sexuelles Brandzeichen auf den Mund drückte, während sich seine Finger in ihren Haarknoten bohrten, bis sämtliche Nadeln, die ihn zusammengehalten hatten, durch das Gras rollten und sich sein Körper hart und heiß an ihren presste. »Wenn es darum geht, die zu beschützen, die du als die Deinen ansiehst, ist deine Liebe ein wildes Ding mit Klauen und Zähnen, Elena.«
Er hatte recht. Ginge es darum, das Leben ihrer Liebsten zu retten, würde sie sich sogar diese irrsinnige Lijuan eigenhändig vorknöpfen. »Und stört dich das überhaupt nicht? Dass ich so blutrünstig bin?«
Lachend hob er sie hoch und trug sie davon, stark und leichtfüßig, bis sie sich fühlte wie eine sanfte, vornehm erzogene Südstaatenschönheit in einem Historiendrama. »Die Frage beantworte ich oben. Sobald ich gesehen habe, wo du dein Messer versteckt hast.«
Oh Gott, er hört sich an wie ein schnurrender Kater!
»Schlaf wird völlig überbewertet«, flüsterte Elena, indem sie ihm die Arme um den Hals schlang und seinen köstlich duftenden Hals
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