Engelslieder
seinen breiten Rücken und die kräftigen Schultern bedeckte.
Einen Moment lang bewunderte Autumn seine Kraft und die großen Fortschritte, die er machte, dann begab sie sich wieder zu der Gruppe, die an den niedrigen Boulderblöcken über dicken Matten kletterte. Der Tag neigte sich dem Ende zu, die Luft wurde kühler, und am Horizont stand die Sonne tief über den Gipfeln.
Bald würden sie nach Hause aufbrechen müssen.
Autumn war froh, dass Ben sein eigenes Auto dabeihatte und sie nicht mit ihm zusammen zurückfahren musste.
Es war halb drei Uhr morgens, doch Ben fand keinen Schlaf. Früher am Abend hatte er mit Pete Rossi über die letzten Oldtimerbesitzer von der Liste der Zulassungsstelle gesprochen. Rossi hatte alle befragt und mit einem dicken, fetten Nichts aufgewartet.
Niemand von den Leuten, die einen ‘66 Super Sport besaßen, sah dem Mann auf Autumns Phantombild ähnlich oder kannte jemanden, der Ähnlichkeit mit ihm hatte. Pete hatte sowohl mit den derzeitigen als auch mit den ehemaligen Besitzern gesprochen – beides mit demselben ernüchternden Ergebnis.
Sofern man annahm, dass Robbie Hines mit Marke und Modell richtig lag, war die einzig logische Schlussfolgerung, dass der Wagen, in dem man Molly entführt hatte, in einem anderen Staat zugelassen war. Am Montag würde er Jenn damit beauftragen, Kopien des Phantombildes per Post und E-Mail an Oldtimergruppen im ganzen Land zu schicken und eine Belohnung für jede Information auszusetzen, die hilfreich wäre. Vielleicht würden sie so einen Treffer landen.
Er vertraute Jenn. Sie würde die Sache so diskret wie möglich behandeln. Da sie noch immer keinerlei Beweise hatten, wollte er seine Familie nicht einweihen. Es würde Joanne zerstören, die Suche nach Molly nach all den Jahren neu aufzurollen. Sie hatte es schon damals nur knapp überlebt. Eine Zeit lang hatte er befürchtet, sie würde sich das Leben nehmen. Er wollte nicht, dass sie denselben Schmerz noch einmal erlitt.
Er lag in seinem Kingsize-Bett, knautschte das Kopfkissen zusammen und schob es sich unter den Kopf. Während der vergangenen Jahre hatte er es irgendwann geschafft, sich mit Mollys Tod abzufinden, und jetzt steckte er schon wieder in einer hoffnungslosen Suche nach ihr.
Oh Gott, wäre er Autumn Sommers und ihren verrückten Träumen doch niemals begegnet. Wahrscheinlich war das sowieso alles vollkommener Blödsinn. Er war ein Idiot, wenn er glaubte, irgendetwas davon könnte wahr sein.
Ben schloss die Augen und wollte sich zum Schlafen zwingen, als das Telefon klingelte.
Er nahm den Hörer ab. Auf einmal war er hellwach. “Hallo?”
“Ben, hier ist Autumn.” Wer hätte das gedacht? “Ich … habe ihn gesehen. Ich habe von Molly und den anderen beiden Frauen geträumt, aber es war anders und … ich … ich habe sein Gesicht gesehen. Dieses Mal habe ich ihn wirklich gesehen!”
Ben umklammerte den Hörer fester. “Konzentrier dich weiter. Ich bin schon auf dem Weg.”
Er legte auf, sprang in Jeans, T-Shirt und Tennisschuhe und jagte zur Tür.
In Rekordzeit erreichte er Autumns Wohnung. Kaum hatte er geklopft, öffnete sie auch schon die Tür. Sie war blass und zitterte, und er musste seine gesamte Willenskraft aufbringen, um sie nicht in den Arm zu nehmen, denn er wusste, dass sie das am allerwenigsten wollte.
“Geht es dir gut?”, fragte er, obwohl es offensichtlich war, wie schlecht es ihr ging.
Autumn nickte und bat ihn mit einer Geste herein. “Ich bin nur ein wenig durcheinander, das ist alles. Ich habe Kaffee gemacht. Möchtest du einen?”
“Ja, ich könnte eine Tasse vertragen.” So wie es aussah, würde er in dieser Nacht ohnehin kein Auge zutun – ob mit Koffein oder ohne. Also nahm er die dampfende Tasse nur zu gerne an, die sie ihm einschenkte und auf den Frühstückstresen stellte. Ihre eigene Tasse stand unangerührt daneben.
“Komm, wir gehen zum Sofa rüber.” Er nahm beide Tassen und folgte Autumn ins Wohnzimmer, wo er die Tassen auf dem antiken Löwenfußtisch vor der Couch abstellte und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Sie zurrte den rosafarbenen, gesteppten Bademantel etwas fester und nahm Platz. Ben setzte sich neben sie.
Autumn fuhr sich durchs Haar. “Weißt du – jedes Mal, wenn ich mir das Phantombild ansah, dachte ich, dass irgendetwas nicht stimmt, aber ich wusste nicht, was. Heute Nacht in meinem Traum, als der blonde Mann in die Küche ging und ich sah, wie er Molly anschaute, wurde mir klar, dass er sich
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