Engelslieder
während der letzten sechs Jahre stärker verändert hat, als ich dachte. Vielleicht ist er schon vorher in einem meiner Träume aufgetaucht – so, wie er jetzt aussieht, meine ich –, und ich habe mich einfach nur nicht daran erinnert. Vielleicht kam mir die Zeichnung deshalb so falsch vor.”
“Inwiefern hat er sich verändert?”
“Er sieht älter aus, härter. Die feinen Linien neben seinen Augenwinkeln sind jetzt richtige Falten, und auf der Stirn hat er tiefe Furchen. Und weißt du was, Ben? Ich habe diesen Mann schon mal gesehen! Irgendwo in der realen Welt habe ich ihn tatsächlich gesehen.” Sie sah ihn mit großen, Sorgen erfüllten Augen an. “Das Schlimme ist nur – ich weiß nicht mehr, wo.”
Alarmiert richtete sich Ben auf. “Du kennst diesen Kerl?”
“Nein … ich kenne ihn nicht. Aber ich … bin mir sicher, dass ich ihm schon mal begegnet bin. Keine Ahnung, wo. Es kann überall gewesen sein – in einem Restaurant, einer Bar, im Theater, im Fitnessstudio. Es könnte genauso gut hier in Seattle wie in Burlington gewesen sein. Oh Gott, wenn ich mich doch nur erinnern könnte.”
Sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Er streckte den Arm aus und zog sie an sich heran. “Keine Angst, Baby. Vielleicht fällt es dir im Augenblick nicht ein, aber irgendwann wirst du dich sicher daran erinnern.”
Sie schaute ihn an. “Aber wir haben keine Zeit, Ben. Ich weiß nicht, weshalb, aber ich habe das Gefühl, dass uns die Zeit davonläuft.”
Er zog sie enger an sich, und sie legte den Kopf an seine Schulter. “Wir müssen optimistisch bleiben”, murmelte er. “Der Traum hat sich verändert, was bedeutet, dass er uns womöglich einen weiteren Hinweis gegeben hat. Wir werden ihn verfolgen. Mal sehen, wohin er uns führt.”
Als sie nickte, spürte er ihre Haare an der Wange. Ben lockerte die Umarmung ein wenig. “Wir fangen noch mal von vorne an und gehen den Traum Bild für Bild durch.” Er ignorierte die leise Stimme, die ihn warnte, dass vielleicht nichts von alledem wahr war, griff hinter sich, zog eine weiche, roséfarbene Wolldecke von der Sofalehne und legte sie ihr über die Beine. “Dazu können wir es uns genauso gut gemütlich machen, denn es könnte eine Weile dauern.”
Autumn erzählte Ben alles, woran sie sich erinnerte. Molly und die anderen beiden Frauen waren in der Küche, als der blonde Mann nach Hause kam. Er wirkte älter als vorher, war stärker gealtert, als sie es erwartete hätte. Er hatte hellblaue Augen, die inzwischen härter dreinschauten. Nichts an ihm war mehr freundlich. Das Haar trug er kurz geschnitten. Es war so perfekt frisiert, als benutze er Gel oder Pomade, um es in Form zu halten.
“Hat ihn irgendeine der Frauen mit Namen angesprochen?”, hakte Ben nach.
Autumn schüttelte den Kopf. “Nein, aber er hat die ältere Frau Rachael genannt. Ich weiß noch, dass er sagte: ‘Guten Abend, Rachael’, als er in den Raum kam.”
Autumn erinnerte sich daran, dass die Küche voller Dampf war und der Mann wütend wurde, weil der Tisch noch nicht fertig gedeckt war.
“’Das Abendessen ist fast fertig’, erklärte Rachael hastig. Sie hatte ein schmales Gesicht, trug kein Make-up, war jedoch nicht unattraktiv. Sie wirkte fortwährend nervös. Rachael starrte Molly an und lieferte dem Mann ein anderes Ziel für seine Wut.
’Ruth hat das Brot verbrennen lassen, also gibt es heute Abend leider keins.’
Er richtete die eisblauen Augen auf Molly. ‘Du lernst es besser schnell, Mädchen. Ansonsten muss ich mit dir wohl oder übel einen Spaziergang zu meiner Werkstatt machen.’
Molly wurde blass. ‘Es tut mir leid. Ich … ich habe es nicht mit Absicht gemacht. Es wird nie wieder vorkommen.’
Er grunzte. Sie nahmen am Tisch Platz. Es gab gekochtes Fleisch und irgendein Gemüse. Der Mann saß am Kopf des Tisches, die Frauen um ihn herum.
In dem Moment, als er Molly über den Tisch hinweg anblickte, sah ich seine gerade Nase, die gebogenen Wangenknochen und die leicht eingefallenen Wangen, und ich wusste, dass ich ihn irgendwo schon mal gesehen hatte.
Dann bin ich aufgewacht.”
Sie spürte Bens Hand auf ihrer. Die Berührung gab ihr Sicherheit. “Ich weiß, dass ich ihn schon mal gesehen habe, Ben. Oh Gott, wieso kann ich mich nur nicht genau erinnern?”
Sie zitterte. Sie wehrte sich nicht, als Ben sie wieder in die Arme zog.
“Schon gut”, beruhigte er sie. “Es ist nicht deine Schuld.”
Und warum fühlte sie sich
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