Engelssturz - Zahn, T: Engelssturz - Angelmass
Position auf dem Deck brachte. Die Worte entrangen sich schmerzhaft seiner Kehle.
»Hier«, sagte Ornina und erschien mit einem Erste-Hilfe-Koffer auf seiner anderen Seite. »Chandris, kannst du ihm schon mal das Hemd ausziehen?«
»Natürlich.«
Sie schickte sich an, Orninas Bitte nachzukommen. Kosta zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz quer über die Brust schoss – der Kontrapunkt zu den Schmerzen im linken Oberarm, und mit Erstaunen wurde er sich zum ersten Mal bewusst, dass das Hemd von Blut durchtränkt war. Anscheinend war dieser erste Schnitt doch tiefer gegangen, als er geglaubt hatte. Komisch, dass er den Schmerz bisher überhaupt nicht gespürt hatte.
Erst in diesem Moment, als er den Blick vom Blut auf seiner Brust abwandte, sah er Trilling.
Der Mann war auf dem Deck zu Boden gegangen und lag reglos hinter Chandris da. Seine rechte Hand, mit der er Kostas aufgeschlitzten Arm umklammert hatte, war in Blut getränkt.
Und aus dem Rücken ragte der Griff seines eigenen Messers.
Kosta richtete den Blick wieder auf Chandris. Nun sah er auch zum ersten Mal die Tränen, die ihr die Wangen herunterliefen. »Chandris?«, fragte er leise.
»Ich musste es tun«, sagte sie mit einer so leisen Stimme, dass er sie fast gar nicht hörte. »Er hätte dich sonst getötet. Er hätte euch beide getötet. Ich konnte nichts anderes tun.«
»Ich weiß«, sagte Kosta und zuckte zusammen, als Ornina die Wunde in der Brust vorsichtig mit einem Verband umwickelte. »Ich bin …«
»Nein, sag jetzt nichts«, unterbrach sie ihn und warf ihm durch die Tränen, die ihr in den Augen standen, einen gequälten, aber auch finsteren Blick zu. »Sag jetzt nichts.«
Sie wandte den Blick ab und drehte sich halb zu der Leiche um, die hinter ihr auf dem Deck lag. »Er war einmal mein Freund«, sagte sie, wobei ihr Körper von einem lautlosen Schluchzen geschüttelt wurde. »Er war alles, was ich hatte. Er hatte sich um mich gekümmert und mich beschützt.«
Sie senkte den Kopf und schloss die Augen. »Er hat mich geliebt.«
Kosta warf einen Blick auf ihr Profil und sah, dass die Tränen noch immer hemmungslos flossen.
Und für ihn waren wenigstens nun alle Zweifel zerstreut. Chandris war fähig, ihre Freunde zu schützen und konnte dennoch darüber weinen, was sie tun musste. Sie war fähig, Opfer für eine höhere Sache zu bringen und dabei ihren Stolz und ihre Würde zu bewahren. Sie war fähig, Zorn zu verspüren und Trauer, Reue und Liebe.
Die Propaganda der Pax war falsch! Die Engel beraubten die Bürger des Empyreanums nicht ihrer Menschlichkeit. Wenn überhaupt, dann bewirkten sie, dass Menschen wie Chandris noch menschlicher wurden. Menschlicher, als sie es zunächst zu sein gewagt hatten.
Ornina machte sich daran, ihm den Arm zu verbinden. Ihre Blicke trafen sich, und er las die Botschaft in ihren Augen. Er streckte den gesunden Arm aus, fasste Chandris an der Schulter und drückte sie sanft an sich.
Und als ob damit auch der letzte Damm gebrochen wäre, verbarg sie ihr Gesicht an seiner Brust und weinte wie ein Kind. Wie das Kind, das sie in mancherlei Hinsicht immer noch war.
Vielleicht auch wie das Kind, das sie niemals hatte sein dürfen.
36
»Es tut mir leid, Hoher Senator.« Der Arzt warf einen Blick auf seinen Tablet-PC. »Wir wissen leider immer noch nicht, was mit Mr. Ronyon geschehen ist.«
Forsythe sah zu Ronyon hinüber. Der große Mann schnürte sich sorgfältig die Schuhe – mit der gleichen hohen Konzentration, mit der er sich jeder technisch anspruchsvollen Aufgabe widmete. »Aber er ist doch jetzt wieder in Ordnung?«
»So weit wir das beurteilen können«, sagte der Doktor. »Sie können ihn aber auch gern noch ein paar Tage bei uns lassen. Bis dahin gelingt es uns vielleicht, eine umfassende Diagnose zu stellen.«
»Sie meinen, dann würde Ihnen vielleicht noch ein neuer Test einfallen, an den bisher noch niemand gedacht hat?«
Der Arzt zuckte unbehaglich die Achseln. »Nun, darauf dürfte es wohl hinauslaufen«, räumte er ein.
»Ja«, sagte Forsythe. »Ich weiß das Angebot zwar zu schätzen, aber ich glaube, wir werden es dann doch nicht annehmen.«
Ronyon hatte die Schuhe inzwischen zugebunden und richtete sich auf. Können wir jetzt gehen?, signalisierte er Forsythe mit nervös-hoffnungsvoll gerunzelter Stirn.
Ja, versicherte Forsythe ihm. Es war ihm schon seit ihrem Gespräch am frühen Nachmittag klar gewesen, dass Ronyon sich hier sehr unwohl fühlte. Er lag in einem fremden
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