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Engelstation

Engelstation

Titel: Engelstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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ehrfurchteinflößende Wirken ihres vielschichtigen Verstandes wahrnehmen.
    Ein kalter, unwillkommener Gedanke nistete sich in seinem Gehirn ein und verursachte ihm solches Unbehagen, daß er sich unwillkürlich wand. Er verstand die Entscheidung der Geliebten, ebenso wie seine eigene instinktive Opposition dagegen; und er wußte, daß es einzig und allein daran lag, daß sie so verschieden waren.
    Seit der Kontaktaufnahme mit den Menschen war die Geliebte ein beängstigendes Risiko nach dem anderen eingegangen. Sie hatte es trotz der Gefahr der Kontamination gewagt, ihren Geist der menschlichen Sprache und dem menschlichen Denken zu öffnen, obwohl viele ihrer Diener davon wahnsinnig geworden waren; sie hatte es gewagt, den Handelsverkehr mit einer fremdartigen Spezies zu eröffnen, die ihr Wissen über die Geliebte und deren Fähigkeiten zu einem Angriff auf sie nutzen konnten; sie hatte es gewagt, fremde, unvollständig erforschte Technologien an andere unabhängige Intelligenzen ihrer Spezies weiterzugeben, wodurch sie die Ausbreitung einer möglichen Verseuchung riskiert hatte; und nun wagte es die Geliebte auch noch, eine menschliche Fraktion gegen die andere auszuspielen, um in den Besitz der wertvollsten Schätze der Menschen zu gelangen, ohne die Folgen richtig beurteilen oder die charakteristischen Eigenheiten der beteiligten Parteien vollständig erfassen zu können. Ein gefährliches Unternehmen.
    All diese Risiken hatte die Geliebte auf sich genommen, und Zwölf konnte eine solche Tollkühnheit weder nachvollziehen noch verstehen. Er erkannte, daß die Geliebte absolutes Vertrauen in ihre Allmacht besaß, in ihre Fähigkeit, die Folgen ihrer Handlungen zu begreifen und zu kontrollieren. Zwölf, ihr Diener, besaß nichts dergleichen.
    Auf einer instinktiven Ebene verstand die Geliebte solche Individuen wie Marco de Suarez. Marco verhielt sich so, wie es die Geliebte getan hätte, oder jedenfalls wie es die Geliebte ihrem Selbstbild zufolge getan hätte – entschlossen, skrupellos, opportunistisch. Sein Schiff war strikt hierarchisch organisiert, wobei Marco an der Spitze stand, alle Risiken einging und alle Entscheidungen traf. Die anderen wurden als Instrumente seines Willens betrachtet.
    Im Gegensatz dazu war die Runaway anarchisch und vom Standpunkt der Geliebten aus ein hoffnungsloser Fall. Ubu besaß nur wenig von Marcos Autorität, seine Besatzung wagte es, ihm öffentlich zu widersprechen, ohne den Tod oder eine Maßregelung fürchten zu müssen, und der Suarez-Clan hatte ihm irgendwie sein größtes Geheimnis gestohlen. Die Geliebte würde einen derart chaotischen, unbegreiflichen Clan wie den von Ubu instinktiv meiden und sich mit der Stärke und der Sicherheit des Suarez-Clans verbünden. Sie würde Ubu als Instrument benutzen, um die Technologie zu bekommen, die sie haben wollte, und um die Position der anderen Menschen zu untergraben; ansonsten würde sie ihn links liegenlassen.
    Zwölf jedoch konnte solche Menschen wie Ubu und die schöne Maria besser verstehen als die Geliebte. Er verstand ihre mangelnde Stärke, ihre Verwirrung und die Art, wie sie von stärkeren Menschen zu Opfern gemacht wurden. Er verstand ihre grundlegende Hilflosigkeit. Zwölf war selbst hilflos, ein Werkzeug der Geliebten. Das ergab sich aus seiner Natur.
    Ubu würde auch zum Werkzeug der Geliebten werden. Das war jedenfalls ihr Ziel.
    Und Zwölf würde aufgrund seiner Natur dafür sorgen, daß sie ihr Ziel erreichte.

    »Der Schiffsführer will dich sprechen.«
    »Dann soll er doch herkommen, verdammt noch mal.«
    Kit starrte sie an. Zuerst war seine Verblüffung so groß, daß sich kein anderes Gefühl bis zu seinem Gesicht vorarbeiten konnte. Aber dann sah die schöne Maria, wie eine ganze Reihe von Emotionen an die Oberfläche drangen: Schock, Furcht und eine wachsende böse Vorahnung. Er fragte sich bestimmt, auf was er sich da eingelassen hatte. Er tat ihr beinahe leid.
    Der Mistkerl!
    Kit leckte sich die Lippen. »Ich glaube nicht …«
    »Wenn Marco irgendwas will, kann er herkommen.
    Bis ich einen anderen Arbeitsplatz kriege, ist das hier mein Büro.«
    Er atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. »Okay«, meinte er. »Ich sag’s ihm.«
    Maria grinste ihn an. »Danke.«
    Sie konnte sehen, wie die Anspannung seine Schultern straffte, als er den Raum verließ. Belustigung stieg in ihr hoch, als sie sah, wie Kit sich bewegte – ohne es zu merken, ging er fast auf Zehenspitzen, als ob er vielleicht

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