Engelstation
des Schocks durch seine Nerven gegangen war, als er entdeckt hatte, welcher Brutalität er fähig war.
Es sei notwendig für den Plan, hatte sie gesagt. Sie müsse überzeugend wirken, wenn sie um Schutz bat.
Schlag mich, wenn ich nicht damit rechne, hatte sie ihn gebeten. Ich will es nicht vorher wissen, wenn es passiert.
Ubu knirschte mit den Zähnen, während er einen kurzen, heftigen Kampf gegen die Erinnerung ausfocht. Die Erinnerung siegte.
Zuhälter, beschimpfte er sich. Du bist ein Zuhälter. Hast deine Schwester für zwei Worte an den Suarez-Clan verkauft: Montoya 81. Wie willst du das je vergessen?
Ubu ging in den Salon zurück. Der Illustreifen lief noch, aber Ubu hatte total den Faden verloren. Die Pobacken eines holographischen Mannes pumpten, während er eine ruhige, mondgesichtige Frau fickte, die ein wenig mißmutig dreinschaute. In ihrer Gelassenheit lag etwas, was Ubu an Maria erinnerte. Seine Nerven verbrannten zu Asche.
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging steifbeinig hinaus. Maxim spürte, daß mit seinem Benehmen etwas nicht in Ordnung war, und trabte vor ihm her den Flur entlang, wobei sein pelziger weißer Schwanz wie eine Signalflagge hin und her wedelte. Ubu blieb stehen und überlegte, wohin er gehen sollte. Er schaute auf seine Hände hinab und entdeckte, daß seine Fingernägel präzise Halbmonde in seine Handflächen gegraben hatten.
Er war noch nie allein gewesen. Jedenfalls nie mehr als ein paar Stunden.
Ubu fragte sich, wie die Geliebte damit zurechtkam, monatelang allein zu sein, während ihr nur ihre biologischen Roboter Gesellschaft leisteten.
Er kletterte eine Leiter zum unteren Shootersalon hinunter und rief das Inhaltsverzeichnis des Computers auf. Da war es, eine Datei mit dem Namen »Pasco«, die eine verblüffende Menge an Speicherplatz einnahm. Er wunderte sich, wie es Pasco vorher gelungen war, das alles zu verbergen.
Ubu nahm seinen Mut zusammen und startete die Datei.
Sein Vater erschien und erzählte ihm, wie sein Tag gewesen war.
Nachdem Marco das Terminal der schönen Maria konfisziert hatte, löschte er das Kernprogramm noch einmal und lud es neu aus dem Datenspeicher. Der nächste Sprung war nur im Vergleich zu den anderen ein Erfolg: Es gelang der Abrazo , rund drei Lichtjahre weit mehr oder weniger in die richtige Richtung zu schlingern. Marco beschloß, daß es so gehen mußte; er leitete eine lange Kette dicht aufeinanderfolgender Sprünge in die Wege, die jeweils von einem anderen Shooter durchgeführt wurden.
Die ganze Serie nahm einige Stunden in Anspruch und brachte sie etwa zehn Lichtjahre näher an Engelstation heran. Maria war dankbar, daß sie nichts Kompliziertes tun mußte – um einen Schuß zu kontrollieren, würde sie ein Stimgerät benötigen, aber um einen Schuß vom Optimalkurs abzubringen, brauchte sie nur die Droge. Am Ende der Serie war sie völlig durchgedreht vom Rot Neun – sie redete ohne Unterbrechung, sprang lachend und kreischend in der Kabine umher und versuchte wie besessen, einen Kamm durch ihre verfilzten Haare zu ziehen. Kit konnte es nicht ertragen und ging nach ein paar Stunden hinaus. Er kam nur zurück, um ihr Tabletts mit Essen zu bringen, das sie nicht hinunterbekam.
Nach dem Ende der Serie setzte das Blau Sieben Maria für fünfzehn Stunden außer Gefecht. Sie schlief wie ein Stein, ohne daß die subatomare Welt je vollständig verschwand; sie tanzte durch ihren träumenden Geist, ein Ballett dahinströmender, leuchtender Partikel, die zu komplexen Mustern verwoben waren … Die Elektronenwelt selbst weckte sie. Die Muster änderten sich, um der schönen Maria irgendwie zu zeigen, daß die Schußsoftware wieder aufgerufen worden war. Ohne auch nur die Augen zu öffnen, streckte sie einen Arm aus der Koje und tastete nach dem Zerstäuber mit dem Rot Neun.
Die neue Serie von Schüssen war brutaler als die vorherige. Die schöne Maria verbrachte die letzten paar Stunden festgeschnallt auf der Toilette, flammende Visionen der Elektronenwelt vor ihrem geistigen Auge, während ihr Körper von den wiederholten Dosen der Droge zitterte.
Hinterher ging sie schlafen. Die Elektronenwelt leuchtete in ihrem Geist. Irgendwann wachte sie auf, fand den Weg zu einem stehengebliebenen Essenstablett, schlang alles bis auf den letzten Bissen hinunter und ging wieder ins Bett.
Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde die Abrazo nach ein paar weiteren Serien von Sprüngen das Angelica-System erreichen.
»Heute haben wir
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