Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Art von höherer Gerechtigkeit allerdings unbefriedigend. Berufsbedingt, sozusagen. Keine Verhöre, kein Prozess, kein Urteil. Stattdessen Indizienschlüsse, Mutmaßungen und unschöne Lücken in der Rekonstruktion. Gefällt mir einfach nicht, so was. Ich wüsste gerne genau, was sich zwischen den Mantheys abgespielt hat. Aber da ist nichts zu machen. Er ist verblutet, und sie hat keine Ahnung, wie es passiert ist. Erinnert sich nur vage, dass jemand Fremdes im Haus war und sie sich so aufgeregt hat, dass man ihr etwas zur Beruhigung gegeben hat. Danach ist Schluss. Blackout. Laut Gerichtsmedizin womöglich ausgelöst durch die Kombination eines Sedativums mit Atropin.«
»Atropin? Das, was in Augentropfen ist?«
»Ungefähr, ja. Genau heißt das Zeug...« Schöbel blätterte in dem Ordner auf seinen Knien. »Hyoscyamin. Kann von Pupillenerweiterung und trockenen Schleimhäuten bis zum tödlichen Kollaps alles Mögliche verursachen und kommt in einer ganzen Reihe von Pflanzen vor. Tollkirsche, Alraunen, Stechapfel. Und eben in dem Kraut, das Manthey so liebevoll auf seiner Terrasse gepflegt hat.«
»Die Engelstrompeten?«
Schöbel nickte. »Die hat er ihr offenbar im Tee verabreicht. Wir haben Spuren der Trockensubstanz im Belag einer Kanne gefunden. Und Ironie des Schicksals – oder höhere Gerechtigkeit, wenn Sie so wollen – ist wohl, dass er die Katastrophe selbst ausgelöst hat. Erst gibt er ihr seit Monaten immer mal wieder dieses Pflanzenzeug, dann das Beruhigungsmittel, als sie beim Besuch des Bankberaters in Rage gerät. Und erreicht genau das Gegenteil damit. Den Rest können wir nur raten. Wir wissen, dass sie aus dem Schuppen die Sichel hatte, mit der sie die Rosen geköpft und die Engelstrompeten zersäbelt hat. Aber ob Gesine Manthey nun auf ihren Mann losgegangen ist oder er sie aufhalten wollte, wissen wir nicht. Nur, dass sie ihm die Verletzung der Achselarterie zugefügt haben muss, an der er verblutet ist. Mal sehen, ob nicht das eine oder andere doch noch aus der Erinnerung aufgetaucht ist, mit dem wir ein bisschen mehr Licht ins Dunkel bringen.« Schöbel klappte den Ordner zu und stieg aus, als der Streifenwagen am Hügelweg anhielt.
Der Plattenweg war gefegt. Im Rahmen des Giebelfensters trocknete Kitt um die neuen Scheiben. Von den Scherben der alten war im Gras vor dem Haus nichts mehr zu sehen. Der geschlossene Schuppen ließ nicht erkennen, ob auch darin aufgeräumt worden war. Manfred Graber hatte zwei Tage gebraucht und ganze Arbeit geleistet.
»Picobello, das muss man sagen.« Schöbel sah sich anerkennend um. »Bei euch funktioniert Nachbarschaftshilfe wenigstens noch.«
»Sieht so aus«, stimmte Pieplow zu und fand, das Schild unter der Klingel hätte auch gleich entsorgt werden können. ›Armin und Gesine Manthey‹ stand immer noch dort, und damit wäre es auf jeden Fall vorbei gewesen. So oder so. Denn einer wie Matthias Behnsen ließ sich vielleicht in die Flucht jagen, aber nicht für dumm verkaufen. Erst recht nicht, wenn der Missbrauch von Vollmachten seine Bank um das Vermögen einer Kundin brachte.
»Nanu«, wunderte sich Schöbel, als schwungvoll die Tür geöffnet wurde. »Sieht aus, als hätten wir uns in der Adresse geirrt.«
»Keineswegs, Herr Hauptkommissar, keineswegs«, widersprach der Professor vergnügt. »Ich bin nur der ärztliche Beistand. Ehrenamtlich, aber wohl nichtsdestoweniger sinnvoll. So ganz ist unsere Patientin nämlich noch nicht wieder auf dem Posten. Verständlich, wenn man bedenkt, wie es um sie stand, finden Sie nicht?«
Doch, gewiss, das fand Schöbel auch. Vor fünf Tagen komatös in die Klinik und gestern schon wieder entlassen, da waren selbst robustere Naturen noch etwas wackelig auf den Beinen.
»Aber vernehmungsfähig ist sie, oder?«, erkundigte er sich besorgt, bevor er ganz in den Flur trat.
»Ich denke schon. Zumal, wenn wir ein wenig Fingerspitzengefühl walten lassen.« Dahlke ging in den Wohnraum voraus, in dem Pieplow die Handschrift Manfred Grabers erkannte. Keine Spur der Verwüstungen mehr, alles an Ort und Stelle und im Holz der Terrasse nur noch ein dunkler Schemen dort, wo Manthey gelegen hatte.
Mit ihrem ungeschminkten Gesicht und dem spröden roten Haar, das sie jetzt streichholzkurz trug, wirkte Gesine Manthey zerbrechlich. Wie ein müdes trauriges Mädchen, das in einem zu großen Sessel auf das wartete, was man ihm zu sagen hatte.
Der Professor trat hinter sie und legte ihr väterlich eine Hand auf die
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