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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Margaret Lykes bewegten sich langsam durch die schwere See. Sie fuhren auf einem Kurs von 55 Grad direkt auf England zu. Wie bei einer Regatta waren sie vom Vollmond beleuchtet und auf zehn Meilen sichtbar - die erste derartige Nacht im Nordatlantik seit Wochen. Begleitschiffe: fünf, darunter zwei langsame Korvetten und zwei angejahrte, einstmals amerikanische Zerstörer, den Engländern 1940 im Austausch gegen Stützpunkte überlassen, von denen der eine - HMS Mansfield - bei der Jagd auf die U-Boote den Kontakt mit dem Konvoi verloren hatte, weil dessen Kommandant (bei seinem ersten Einsatz) vergessen hatte, ihm seine zweite Kursänderung mitzuteilen. Kein Rettungsschiff verfügbar. Keine Luftunterstützung. Keinerlei Verstärkung im Umkreis von 1 000 Meilen.
    »Alles in allem«, sagte Cave, nachdem er sich eine Zigarette angezündet und seine Karten betrachtet hatte, »eine Lage, die man als ziemlich beschissen bezeichnen könnte.«
    Der erste Torpedo traf um 22.01 Uhr.
    Um 22.32 Uhr hörte man Tom Jericho sehr leise sagen: »Ja.«

3.
    Es war kurz vor der Sperrstunde im Eight Bells Inn an der Buckingham Road, und Miss Jobey und Mister Bonnyman hatten das Hauptthema ihrer Abendunterhaltung praktisch erschöpft: das, was Bonnyman dramatisch die »Polizeirazzia« in Mister Jerichos Zimmer nannte.
    Sie hatten die Einzelheiten beim Abendessen von Mrs. Armstrong erfahren, deren Gesicht vor Empörung über dieses gewaltsame Eindringen in ihr Territorium gerötet war. Ein uniformierter Beamter hatte den ganzen Nachmittag auf der Schwelle Wache gestanden (»so daß die ganze Straße ihn sehen konnte, stellen Sie sich das vor«), während zwei Männer in Zivil mit einem Werkzeugkasten und einem Durchsuchungsbefehl fast drei Stunden damit verbracht hatten, das hintere Schlafzimmer im oberen Stock zu durchwühlen, bevor sie am Nachmittag mit einem Stapel Bücher verschwanden. Sie hatten das Bett und den Kleiderschrank auseinandergenommen, den Teppich und die Dielenbretter angehoben und einen Haufen Ruß aus dem Kamin geholt. »Dieser junge Mann ist draußen«, erklärte Mrs. Armstrong und verschränkte ihre schinkendicken Arme, »und die gesamte Miete verwirkt.«
    »Die gesamte Miete verwirkt«, wiederholte Bonnyman in sein Bier, zum sechsten oder siebenten Mal. »Das gefällt mir.«
    »Und dabei ist er so ein stiller Mann.«
    Hinter der Bar läutete eine Handglocke, und das Licht flakkerte.
    »Time, Gentlemen! Time please! Feierabend, meine Herren!«
    Bonnyman kippte den Rest seines wäßrigen Biers hinunter, Miss Jobey leerte ihr Glas mit Portwein und Zitrone, und er eskortierte sie auf unsicheren Beinen an dem Dartbrett und den Jagdstichen vorbei zur Tür.
    Dieser Tag, der Jericho entgangen war, hatte der Stadt den ersten wahren Vorgeschmack auf den Frühling gegeben. Draußen auf dem Pflaster war die Luft noch immer mild. Die Dunkelheit gab der Straße einen romantischen Anstrich. Als die aufbrechenden Trinker in die Verdunkelung davontorkelten, zog Bonnyman Miss Jobey spielerisch an sich. Sie wichen in einen Hauseingang zurück. Ihr Mund öffnete sich seinem, sie preßte sich an ihn, und Bonnyman reagierte, indem er ihre Taille umfaßte. Was ihr an Schönheit fehlen mochte - und wen störte das schon in der Verdunkelung? -, machte sie durch Inbrunst mehr als wett. Ihre kräftige und bewegliche Zunge, süß vom Portwein, krümmte sich gegen seine Zähne.
    Bonnyman, von Beruf Postingenieur, war, wie Jericho vermutet hatte, zum Warten der Bomben nach Bletchley beordert worden. Miss Jobey arbeitete in einem der oberen Hinterzimmer des Herrenhauses und registrierte Handchiffren der Abwehr. Den Vorschriften gemäß hatte keiner dem anderen verraten, was er tat, eine Diskretion, die Bonnyman noch ein wenig ausdehnte, indem er auch das Vorhandensein einer Ehefrau und zweier Kinder zu Hause in Dorking verschwieg.
    Seine Hände glitten an ihren schmalen Schenkeln hinab und begannen, ihren Rock hochzuschieben.
    »Nicht hier«, sagte sie in seinen Mund und schob seine Finger beiseite.
    Nun ja (wie Bonnyman später augenzwinkernd dem ernsten Polizeiinspektor erklärte, der seine Aussage zu Protokoll nahm), was ein erwachsener Mann im Krieg nicht alles auf sich nehmen muß, und das alles für ein bißchen Sie-wissenschon.
    Zuerst eine Radfahrt, die sie einen Feldweg entlangführte und unter einer Eisenbahnbrücke hindurch. Dann, im dünnen Lichtstrahl einer Taschenlampe, über ein abgeschlossenes Gatter und durch Dornengestrüpp auf

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