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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ein Schatten über Romillys langes Gesicht. »Wenn Sie sicher sind, daß ich Sie nicht überreden kann…« Seine Sprache war leicht verschliffen. Er war betrunken. Auf dem Treppenabsatz stieß er an einen Tisch und schaltete eine Stehlampe an, dann begleitete er Jericho auf unsicheren Beinen die Treppe hinab bis zur Diele. »Werden Sie versuchen, sie zu finden?« »Ich weiß es nicht«, sagte Jericho. »Vielleicht.« Der Totenschein lag immer noch auf dem kleinen Tisch. »Dann werden Sie das hier brauchen«, sagte Romilly und griff danach. »Sie müssen ihn Wigram zeigen. Wenn Sie wollen, können Sie ihm erzählen, daß Sie bei mir waren. Falls er versuchen sollte, alles abzustreiten. Ich bin sicher, er wird dann zulassen, daß Sie sie sehen. Wenn Sie darauf bestehen.«
    »Wird Sie das nicht in Unannehmlichkeiten stürzen?« »Unannehmlichkeiten?« Romilly lachte auf. Er deutete hinter sich, auf sein Mausoleum von einem Haus. »Glauben Sie etwa, mir machten Unannehmlichkeiten etwas aus? Hier, Mister Jericho, nehmen Sie ihn mit.«
    Jericho zögerte. Sollte er auch so enden wie Romilly, fragte er sich plötzlich, und versuchen, einem Geist Leben einzuhauchen? »Nein«, sagte er schließlich, »das ist sehr nett von Ihnen. Aber ich denke, ich sollte ihn lieber hierlassen.«
    Jericho ließ erleichtert die stille Straße hinter sich und ging auf die Verkehrsgeräusche zu. Auf der Cromwell Road winkte er ein Taxi herbei.
    Der Frühlingsabend hatte die Menschen auf die Straßen gelockt. Auf den breiten Gehsteigen von Knightsbridge und im Hyde Park sah es fast so aus, als wäre ein Festival im Gange: Unmengen von Uniformen, amerikanischen und britischen - dunkelblau, khaki, grau -, und überall Farbtupfer von Sommerkleidern.
    Sie war vermutlich hier, dachte er, irgendwo in der Stadt. Aber vielleicht hatte man auch das für zu riskant gehalten und sie inzwischen ins Ausland geschickt, wo sie in Deckung gehen sollte, bis die ganze Geschichte in Vergessenheit geraten war. Ihm kam der Gedanke, daß vieles von dem, was sie ihm erzählt hatte, durchaus wahr gewesen sein konnte; es war möglich, daß sie eine Diplomatentochter war.
    Auf der Regent Street sah er eine blonde Frau am Arm eines Majors aus dem Café Royal kommen.
    Er wandte bewußt den Blick ab und schaute in eine andere Richtung.
    ALLIIERTER ERFOLG IM NORDATLANTIK! las er auf einem Nachrichtenplakat auf der gegenüberliegendn Straßenseite. NAZI-U-BOOTE VERSENKT!
    Er kurbelte das Fenster im Taxi herunter und ließ die warme Abendluft über sein Gesicht streichen.
    Und irgend etwas war überaus merkwürdig. Während er auf die von Menschen wimmelnden Straßen schaute, empfand er ganz deutlich ein Gefühl von - nun, Glück konnte er es eigentlich nicht nennen. Erlösung war vielleicht das bessere Wort.
    Er erinnerte sich an ihre letzte gemeinsame Nacht. Wie er neben ihr gelegen hatte, als sie weinte. Was war das gewesen? Reue? Falls ja, dann hatte sie vielleicht doch etwas für ihn empfunden.
    »Über Sie hat sie nie gesprochen«, hatte Hester gesagt.
    »Ich fühle mich geschmeichelt.«
    »Das sollten Sie auch - in Anbetracht der Art, wie sie über die anderen gesprochen hat…«
    Und dann war da diese Geburtstagskarte: »Liebster Tom… Du wirst für mich immer ein Freund bleiben… vielleicht später einmal… tat mir leid, zu hören… Eile… alles Gute…«
    Es war eindeutig. So ziemlich das Eindeutigste, was er je erfahren würde.
    Am Bahnhof King´s Cross kaufte er eine Postkarte und Briefmarken. Er schrieb an Hester und bat sie, ihn so bald wie möglich in Cambridge zu besuchen.
    Im Zug fand er ein leeres Abteil und starrte auf sein Spiegelbild auf der Fensterscheibe, ein Bild, das allmählich klarer wurde, als die Nacht hereinbrach und die flache Landschaft unsichtbar wurde, bis er einschlief.
    Das Haupttor zum College war verschlossen. Nur die in das Tor eingesetzte kleine Pforte war offen, und es muß zehn Uhr gewesen sein, als Kite, der neben dem Kohlenofen döste, vom Geräusch des Öffnens und Schließens aufgeweckt wurde. Er hob den Verdunkelungsvorhang an einer Ecke und konnte gerade noch sehen, wie Jericho den Innenhof betrat. Es war überraschend hell - am Himmel standen zahllose Sterne -, und einen Augenblick lang dachte er, Jericho müsse ihn gesehen haben, denn der junge Mann blieb plötzlich am Rande des Rasens stehen. Aber dann wurde ihm klar, daß Jericho zum Himmel blickte. Nach Kites späteren Aussagen hatte Jericho mindestens fünf Minuten

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