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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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stumpfsinnige Donald Cordingley: in einem dicht besetzten Feld um die Position des stumpfsinnigsten Mannes in Bletchley Park war er der Sieger. Wegen einer Trichterbrust zum Militärdienst untauglich. Von Beruf Versicherungsstatistiker. Zehn Jahre Arbeit bei der Scottish Widows Assurance Society in der Londoner Innenstadt, bis ein glücklicher dritter Rang in dem Kreuzworträtselwettbewerb des Daily Telegraph ihm einen Platz im Maschinenraum von Baracke 6 eingetragen hatte.
    Ihren Platz.
    Sie beobachtete ihn noch ein paar Sekunden, dann entfernte sie sich.
    Als sie in den Kontrollraum zurückkehrte, stand Miles Mermagen an ihrem Tisch.
    »Wie war Beaumanor?«
    »Aufschlußreich.«
    Sie hatte ihre Jacke auf der Stuhllehne zurückgelassen, und er fuhr mit der Hand über den Kragen, befühlte das Material zwischen Daumen und Zeigefinger, als wollte er die Qualität prüfen.
    »Wie sind Sie hingekommen?«
    »Jemand hat mich mitgenommen.«
    »Jemand männlichen Geschlechts, nehme ich an.« Mermagens Lächeln war breit und unfreundlich.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe meine Spione«, sagte er.
    Der Ozean wimmelte von Funksignalen. Sie landeten im Abstand von zwanzig Minuten auf Jerichos Arbeitstisch.
    Um 16 Uhr hängte sich ein weiteres U-Boot an den Konvoi, und wenig später verkündete Cave, daß der Konvoi HX-229 abermals den Kurs geändert habe, jetzt auf 028 Grad, ein letzter und (seiner Ansicht nach) hoffnungsloser Versuch, seinen Verfolgern zu entkommen.
    Um 18 Uhr hatte Jericho einen Stapel von neunzehn Kontaktmeldungen, aus denen er drei Aufhänger aus jeweils vier Buchstaben herausgeholt hatte, und eine Masse von grob skizzierten Bomben-Menüs, die aussahen wie die Pläne für ein überaus kompliziertes Himmel-und-Hölle-Spiel. Sein Hals und seine Schultern waren so verspannt, daß er sich kaum aufrichten konnte.
    Im Ballsaal herrschte jetzt fürchterliche Enge. Pinker, Kingcome und Proudfoot waren wieder da. Der andere britische Marine-Leutnant, Villiers, stand neben Cave, der ihm etwas auf seinen Karten erklärte. Eine Wren mit einem Tablett bot Jericho ein sich wellendes Sandwich mit Dosenfleisch und einen Emaillebecher mit Tee an, und er nahm das Angebot dankbar an.
    Logie trat hinter ihn und wühlte ihm durchs Haar.
    »Wie fühlen Sie sich, alter Junge?«
    »Ziemlich kaputt, um ehrlich zu sein.«
    »Wollen Sie aufhören?«
    »Sehr komisch.«
    »Kommen Sie in mein Büro, dann gebe ich Ihnen etwas.
    Bringen Sie Ihren Tee mit.«
    Das »Etwas« stellte sich als eine große gelbe Benzedrin- Tablette heraus, von denen Logie ein halbes Dutzend in einer sechseckigen Pillenschachtel hatte.
    Jericho zögerte. »Ich weiß nicht, ob ich die nehmen sollte. Das letztemal bin ich nach diesen Dingern zusammengeklappt.«
    »Aber mit ihrer Hilfe werden Sie die Nacht durchstehen, meinen Sie nicht? Nun kommen Sie schon, alter Freund. Die Kommandotrupps schwören auf sie.« Er ließ die Schachtel unter Jerichos Nase klappern. »Also werden Sie um die Frühstückszeit zusammenklappen. Na und? Bis dahin werden wir es wohl geschafft haben. Oder auch nicht. Und in dem Fall spielt es ohnehin keine Rolle mehr.« Er nahm eine Tablette und drückte sie Jericho in die Hand. »Nun nehmen Sie schon. Ich werde es dem Onkel Doktor nicht verraten.« Er drückte Jerichos Finger um die Tablette und sagte leise: »Weil ich Sie nämlich nicht gehen lassen kann, mein Bester. Nicht heute nacht. Nicht Sie. Vielleicht einige von den anderen, aber nicht Sie.«
    »Na schön, wenn Sie es so nett ausdrücken.«
    Jericho schluckte die Tablette mit einem Mundvoll Tee hinunter. Sie hinterließ einen widerlichen Geschmack, den er mit dem Rest aus seinem Becher wegspülte. Logie musterte ihn freundschaftlich.
    »So ist´s brav.« Er verstaute die Pillenschachtel wieder in einer Schublade seines Schreibtisches und schloß sie ab. »Ich habe Ihnen übrigens wieder einmal den Rücken freigehalten. Ich mußte ihm sagen, Sie wären viel zu wichtig, als daß man Sie stören dürfte.«
    »Wem haben Sie das gesagt? Skynner?«
    »Nein. Nicht Skynner. Wigram.«
    »Was wollte er?«
    »Sie, mein Junge. Ich würde sagen, er wollte Sie haben. Gehäutet, ausgestopft und auf einen Pfahl gespießt. Wirklich, für einen so friedlichen Mann machen Sie sich eine Menge Feinde. Ich habe ihm gesagt, er soll gegen Mitternacht wiederkommen. Ist Ihnen das recht?«
    Bevor Jericho etwas erwidern konnte, läutete das Telefon, und Logie griff nach dem Hörer.
    »Ja. Am Apparat.«

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