Enigma
betretenes Schweigen, das gnädigerweise durch die Schwester beendet wurde, die hereinkam und Logie sagte, seine Zeit wäre um. Er stand erleichtert auf und ergriff Jerichos Hand. »Und nun sehen Sie zu, daß Sie bald wieder gesund werden, alter Junge, haben Sie verstanden? Ich komme Sie bald wieder besuchen.«
»Tun Sie das, Guy. Danke.«
Aber es war das letzte Mal, daß er ihn sah.
Miss Monk begab sich zur Kanzel, um die erste Lesung zu halten: »Sag nicht, daß Kampf vergebens ist«, von Arthur Hugh Clough, ein Gedicht, das sie mit großer Entschlossenheit vorlas, wobei sie der Gemeinde von Zeit zu Zeit einen eindringlichen Blick zuwarf, als wollte sie sehen, ob jemand ihr zu widersprechen wagte. Es war eine gute Wahl, dachte Jericho. Von einem trotzigen Optimismus erfüllt. Claire hatte es gefallen.
Wenn Tageshelle aufsteigt, fällt das Licht nicht nur durch Fenster ein an östlicher Wand, vorn steigt die Sonne trag, sie eilt sich nicht, doch westwärts, sieh nur, leuchtet schon das Land.
»Lasset uns beten«, sagte der Vikar.
Jericho ließ sich vorsichtig auf die Knie nieder. Er schloß die Augen und bewegte die Lippen wie all die anderen, aber ihm fehlte der Glaube an all das. Glaube an die Mathematik, ja; Glaube an die Logik, natürlich; Glaube an die Umlaufbahn der Sterne, ja, vielleicht. Aber Glaube an einen Gott, einen christlichen oder sonst einen?
Neben ihm gab Wigram ein lautes »Amen« von sich. Wigrams Besuche waren häufig und besorgt gewesen. Er reichte Jericho immer mit dem gleichen eigentümlichen und festen Griff die Hand. Er schüttelte ihm die Kissen auf, goß ihm Wasser ein, rückte seine Decken zurecht. »Behandelt man Sie gut? Es fehlt Ihnen an nichts?« Und Jericho sagte immer ja, danke, er werde bestens versorgt, und dann lächelte Wigram und sagte super, wie super alles war - wie super er aussah, was für eine super Hilfe er gewesen war und einmal sogar, wie super die Aussicht aus seinem Krankenzimmer war, als wäre Jericho dafür verantwortlich. O ja, Wigram war charmant. Wigram teilte Charme aus wie Suppe an die Armen.
Anfangs war es Jericho, der den größten Teil der Unterhaltung bestritt und Wigrams Fragen beantwortete. Weshalb hatte er die Behörden nicht über die Kryptogramme in Claires Zimmer informiert? Weshalb war er nach Beaumanor gefahren? Was hatte er mitgenommen? Wie hatte er das angestellt? Wie hatte er die Kryptogramme entschlüsselt? Was hatte Puck gesagt, als er aus dem Zug sprang?
Dann ging Wigram, und am nächsten oder übernächsten Tag erschien er wieder und stellte weitere Fragen. Jericho versuchte seinerseits, ein paar Fragen einzuflechten, aber W igram wischte sie immer beiseite. Später. Alles zu seiner Zeit.
Und dann kam er eines Nachmittags herein, noch strahlender als sonst, und verkündete, daß er seine Untersuchungen abgeschlossen hätte. Als er auf Jericho herablächelte, erschien um seine blauen Augen herum ein kleines Netz aus Fältchen. Seine Wimpern waren dick und sandig, wie die einer Kuh.
»Also, mein Lieber, wenn Sie nicht zu erschöpft sind, kann ich Ihnen jetzt die ganze Geschichte erzählen.«
Es war einmal, sagte Wigram, nachdem er sich am Fußende des Bettes niedergelassen hatte, ein Mann, der Adam Pukowski hieß, dessen Mutter Engländerin und dessen Vater Pole war. Bis zum Alter von zehn Jahren lebte er in London, und dann, nach der Scheidung seiner Eltern, zog er mit seinem Vater nach Krakau. Der Vater war Mathematikprofessor, der Sohn ließ eine ähnliche Begabung erkennen und fand zu gegebener Zeit seinen Weg in das polnische Chiffrierbüro in Pyry südlich von Warschau. Der Krieg brach aus. Der Vater wurde im Range eines Majors ins polnische Heer einberufen. Der Krieg ging verloren. Die eine Hälfte des Landes wurde von den Deutschen besetzt, die andere Hälfte von der Sowjetunion. Der Vater verschwand. Der Sohn entkam nach Frankreich und wurde dort einer der fünfzehn polnischen Kryptoanalytiker, die im französischen Entschlüsselungszentrum in Gretz- Armainvilliers arbeiteten. Wieder ging der Krieg verloren. Der Sohn entkam über Vichy-Frankreich ins neutrale Portugal, wo er einen gewissen Rogerio Raposo kennenlernte, der dem diplomatischen Dienst Portugals angehörte und ein überaus dubioser Charakter war.
»Der Mann im Zug«, murmelte Jericho.
»So ist es.« Wigram schien über die Unterbrechung verärgert; schließlich war dies die Stunde seines Ruhms. »Der Mann im Zug.«
Von Portugal aus schlug Pukowski sich nach
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