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Enigma

Enigma

Titel: Enigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ebenso wie die meisten anderen, und dort, unter dem grauen Steinbogen - mager und zerbrechlich und von Wigrams Arm gestützt, aber am Leben, Gott sei Dank: unbestreitbar am Leben - stand Jericho.
    Wie er so dastand im Hintergrund der Kirche, in seinem Mantel mit den frisch gestopften Kugellöchern, wünschte sich Jericho mehrere Dinge gleichzeitig. Zuerst einmal wünschte er sich, daß Wigram seine verdammte Hand von seinem Arm nähme, weil der Mann bewirkte, daß es ihn kalt überlief. Er wünschte sich, daß sie nicht gerade diese Hymne spielten, weil sie ihn immer an den letzten Schultag vor den Ferien erinnerte. Und er wünschte sich, daß es nicht notwendig gewesen wäre zu kommen. Aber es war notwendig. Er hätte nicht wegbleiben dürfen.
    Er machte sich höflich von Wigrams Arm frei und ging ungestützt zur nächsten Bank. Er nickte Weitzman und Kramer zu. Die Hymne endete. Seine Schulter schmerzte von der Fahrt. »Ewig besteht Dein Königreich«, sang die Gemeinde, »in ihm sind alle Menschen gleich.« Jericho schloß die Augen und atmete den üppigen Duft der Lilien ein.
    Die erste Kugel, die ihn getroffen und durchgeschüttelt hatte, als sei er mit einem Wagen zusammengeprallt, war in den unteren linken Quadranten seines Rückens eingedrungen, hatte vier Lagen Muskeln durchschlagen, seine elfte Rippe gestreift und war an seiner Seite wieder ausgetreten. Die zweite, die ihn herumgewirbelt hatte, hatte sich tief in seine rechte Schulter gebohrt und einen Teil des Deltamuskels zerfetzt, und das war die Kugel, die herausoperiert werden mußte. Er hatte sehr viel Blut verloren. Es war zu einer Infektion gekommen.
    Er lag isoliert und unter Bewachung in einer Art Militärhospital unmittelbar außerhalb von Northampton - isoliert vermutlich für den Fall, daß er im Delirium über Enigma redete; bewacht für den Fall, daß er zu fliehen versuchte. Ein lächerlicher Gedanke, da er nicht einmal wußte, wo er sich befand.
    Sein Traum - er hatte das Gefühl, daß er tagelang andauerte, aber vielleicht war das nur ein Teil des Traums, darüber war er sich nie im klaren -, sein Traum bestand darin, daß er auf dem Grund des Meeres lag, auf weichem weißem Sand, in einer warmen und wiegenden Strömung. Gelegentlich tauchte er auf, und manchmal war es hell in einem Raum mit hoher Decke und einem Blick auf Bäume hinter einem hohen, vergitterten Fenster. Zu anderen Zeiten tauchte er auf, und es war dunkel, mit einem runden gelben Mond, und jemand beugte sich über ihn.
    Am Morgen des Tages, an dem er aufwachte, bat er darum, mit einem Arzt zu sprechen. Er wollte wissen, was passiert war.
    Der Arzt kam und erzählte ihm, er wäre aus Versehen angeschossen worden. Allem Anschein nach war er zu nahe an einen Schießstand der Armee herangekommen (»Wie konnten Sie nur so unvorsichtig sein«), und er konnte froh sein, daß er noch am Leben war.
    Nein, nein, protestierte Jericho. So war es ganz und gar nicht gewesen. Er versuchte, sich aufzusetzen, aber die Schmerzen in seinem Rücken ließen ihn laut aufschreien.
    Sie gaben ihm eine Spritze, und er kehrte auf den Grund des Meeres zurück.
    Als er sich allmählich erholte, verlagerte sich auch das Gewicht seiner Schmerzen. Anfangs waren sie zu neun Zehnteln körperlich und zu einem Zehntel seelisch gewesen; dann acht Zehntel zu zwei Zehntel; dann sieben zu drei und so weiter, bis das ursprüngliche Verhältnis sich umgekehrt hatte und er sich fast auf die tägliche Agonie des Verbandwechselns freute.
    Das gab ihm Gelegenheit, die Erinnerung an das, was passiert war, wegzubrennen.
    Er verfügte über einen Teil des Bildes, aber nicht über das ganze. Jeder Versuch, Fragen zu stellen, jede Bitte, mit einem Verantwortlichen zu sprechen - kurzum, jede Verhaltensweise, die als »schwierig« ausgelegt werden konnte -, hatte die Nadel zur Folge, die Nadel mit ihrer kleinen Ladung Vergessen.
    Er lernte mitzuspielen.
    Er verbrachte die Zeit mit dem Lesen von Kriminalromanen, die meisten von Agatha Christie, die sie ihm aus der Kranke nhausbibliothek brachten - kleine rotgebundene Bände, vom vielen Lesen zerfleddert, mit mysteriösen Flecken auf den Seiten, die er lieber nicht allzu genau betrachtete. Dreizehn bei Tisch, Der Wachsblumenstrauß, 16 Uhr 50 ab Paddington, Mord im Pfarrhaus. Er las zwei, manchmal drei am Tag. Außerdem brachten sie ihm einige Sherlock-Holmes-Stories, und einen Nachmittag verbrachte er ein paar erfreuliche Stunden mit dem Versuch, die Abe-Slaney-Chiffre in

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