Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
über 40 Prozent mehr als in dem Jahr, in dem die Fallpauschalen eingeführt wurden. Und trotzdem stehen immer mehr kommunale und städtische Kliniken mit dem Rücken zur Wand.
Viel zu lange hat die Regierungskoalition wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt. Dass auf Kosten von Patienten und Beschäftigten im Krankenhaus »Menge gekloppt« wird, wie es Bundesgesundheitsminister Bahr ( FDP ) formulierte, zeigen die Daten schon seit etlichen Jahren. Kritik an den von der Deutschen Krankenhausgesellschaft empfohlenen Bonusvereinbarungen für Chefärzte gibt es seit 2007.
Und doch haben CDU und FDP erst Anfang 2013 eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, mit der die schlimmsten Auswüchse bei diesen Bonusverträgen unterbunden werden sollen. Kliniken sollen mit ihren Chefärzten keine Bonusvereinbarungen mehr abschließen, die sich konkret auf Einzelleistungen, auf die Steigerung bestimmter Operationen beziehen. Kritiker halten diese Regelung allerdings für halbherzig und für einen symbolischen Akt.
Noch etwas hat das Bundesgesundheitsministerium in Angriff genommen: Die Krankenhäuser, die mehr abrechnen als im Jahr davor, sollen zwei Jahre lang mit einem sogenannten »Mehrleistungsabschlag« bestraft werden. Das bedeutet: »Mehrleistungen« bekommen Kliniken nur zu 75 Prozent vergütet und das zwei Jahre lang. Das Ziel ist, Fallzahlsteigerungen weniger attraktiv zu machen. Ob das besser gelingt als bisher, ist unklar. Denn auch in den vergangenen Jahren wurde bereits versucht, die Krankenhäuser von der Mengenausweitung abzuhalten, indem »Mehrleistungen« nur zu 70 Prozent vergütet wurden. Allerdings war dieser Abschlag damals auf ein Jahr begrenzt, danach wurde den Kliniken alles wieder zu 100 Prozent bezahlt. Erst ab dem Jahr 2013 sollen die Krankenhäuser nun zwei Jahre lang solche Abschläge hinnehmen müssen. Ob Daniel Bahr die »Mengenausweitung« damit wirksam begrenzen kann, ist offen. Bisher haben sich Fallzahlsteigerungen für die Häuser trotz Abschlägen immer noch gelohnt, und zwar vor allem für die Häuser, die sich auf bestimmte Eingriffe spezialisiert haben. Das liegt an den Gesetzen der economies of scale , den sogenannten Skaleneffekten. Einfach ausgedrückt: Da der Operationssaal oder das Herzkatheterlabor ohnehin zur Verfügung stehen, lassen sich die »Stückkosten« senken, je mehr Operationen oder Herzkatheter-Untersuchungen mit denselben Geräten vorgenommen werden. Ob Daniel Bahr dieses ökonomische Kalkül aushebelt, wenn »Mehrleistungen« zwei Jahre lang nur noch mit 75 Prozent vergütet werden, muss sich erst noch zeigen.
Ansonsten kam von der Regierungskoalition bisher nicht viel. Die Koalition wartet auf ein Gutachten, das erklären soll, warum es zu dieser »Mengenausweitung« im Krankenhaus kommt, und welche Rezepte es dagegen geben könnte. Die Ergebnisse wolle man abwarten, heißt es im Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage. Ein Ausdruck ziemlicher Ratlosigkeit. FDP -Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr gab das Gutachten nicht einmal selbst in Auftrag, sondern übertrug es zwei Akteuren der ärztlichen Selbstverwaltung, deren Standpunkte gegensätzlicher nicht sein könnten: Dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Während die Krankenkassen davon überzeugt sind, dass aus ökonomischen Gründen unnötig operiert wird, bestreitet das die Krankenhaus-Lobby vehement. Kein Wunder also, dass es Monate dauerte, bis das Gutachten europaweit ausgeschrieben wurde. Insider sagen, man könne froh sein, wenn es für die Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 zur Verfügung stehe. Wahrscheinlich klappe nicht mal das. Dabei hatte Bahr doch eine Frist gesetzt: Im Frühsommer 2013 sollten die Ergebnisse eigentlich schon vorliegen
Andererseits hat Bundesgesundheitsminister Bahr eine weitreichende Entscheidung getroffen: Das DRG -Abrechnungssystem soll ab dem Jahr 2013 auch in der Psychiatrie eingeführt werden. Bisher war dieser Bereich der Medizin aus gutem Grund ausgenommen. Denn der chronische, oft unabsehbare Verlauf seelischer Erkrankungen lässt sich nur schwer in das Korsett von Fallpauschalen pressen. Kein Land der Welt rechnet die Behandlungen in der Psychiatrie bisher mit DRG s ab. Aber die gründlichen Deutschen wollen nun auch dieses Experiment wagen – schwer nachvollziehbar, da sich gerade immer mehr Ärzte, Pflegekräfte und sogar Krankenhausmanager zu Wort melden, die bereits das erste DRG -Experiment
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