Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
eines Privatdozenten, und bei Visiten herrscht wichtiges Gedränge um mein Bett. Zuerst der Professor, dann der Oberarzt, schließlich ein Kometenschweif von Assistenzärzten. Als Klinikneuling bedeutet mir das wenig, bemerke aber den Groll anderer Abteilungen, wenn die Chefarztpatientin dazwischengeschoben werden muss und die Routine meinetwegen gestört wird.
Die Untersuchungen addieren sich. Eine Darmspiegelung am Tag drauf ist vieldeutig, vielleicht etwas Ernstes, vielleicht doch nicht, jedenfalls eine schwierige Stelle. Jetzt begegne ich den Apparaten . Über die Strahlenbelastung von CT -Untersuchungen kein Wort, dabei werde ich insgesamt vier Mal die Röhre besuchen.
Das erste CT -Bild ist faszinierend gruselig. Da ist ein Alien, der sich flach und hässlich streckt, wo der Dünndarm eine Klappe zum Dickdarm hat, 30 Millimeter lang. Die Schleimhäute sind entzündlich, tumorös. Professor T. erzählt, doziert. Und dann:
Wir müssen ein Stück Darm herausnehmen.
Mich schockieren die verwirrenden medizinischen Begriffe, ich kratze so viel Cool zusammen, wie es gerade geht.
Kann es Krebs sein?
Ja.
Wie wahrscheinlich, fifty-fifty?
Ja, fifty-fifty.
Dies alles im rational-paternalistischen Tonfall. Ein Dienstleister eben.
Irgendwie falle ich aus dem Alltag. Alles Fühlen und Denken reduziert sich auf fifty-fifty. Man sagt mir nach, dass bei mir das Glas immer halb voll ist, dass ich Optimistin bin. Aber jetzt kann ich weder Kraft noch Hoffnung mobilisieren, und eine mündige Patientin bin ich auch nicht. Ich höre kaum noch zu, als von ausstehenden histologischen Untersuchungen die Rede ist. Professor T. hält eine Vorlesung, die ich nicht brauche.
Wir schneiden auf jeden Fall so, als sei es bösartig, das ist sicherer.
Vorläufige Entlassung bis zur OP, das Wochenende verbringe ich zuhause. Sehr viele Liebe gibt mir mein Mann. Ich frage kein einziges Mal blöde: Warum gerade ich?
Ablenkung ist notwendig. Großes Aufräumen, Rechnungen bezahlen, Steuererklärung fertigstellen. Ich telefoniere lange mit einem Freund, der Darmkrebs hatte. Er schafft es, mit mir Szenarien durchzugehen, ohne mich zu ängstigen. Details zu erklären, die damit ihren Horror verlieren.
Im Entlassungsbrief lese ich später Diagnosen und Bewertungen, die ein Fachmensch gewiss begreifen kann. Ein Satz wird mich, wenn alles schon vorbei ist, befremden:
Die histologische Aufarbeitung stand zur Entlassung noch aus.
Ohne Befund beginnt der Countdown zum Eingriff – warum so schnell? Wie kann sich der Chirurg dann sicher sein, dass er schneiden muss? Gibt es keine Alternative? Abwarten und dann noch einmal prüfen? Das spricht er nicht an. Aber ich vertraue zunächst.
Am 30. Mai ein Anruf: Die Gewebeproben weisen nicht auf Krebs hin. Genaues erst nach der OP , aber man sei schon ziemlich sicher. Zurück in die Klinik, die OP wird am 31. Mai mikroinvasiv durchgeführt werden, Professor T. ist Experte für dieses Verfahren. Eine laparoskopisch assistierte Ileozökalresektion mit Adhäsiolyse.
Das klingt plötzlich klein und überschaubar. Ich komme nicht auf die Idee, auch jetzt noch eine zweite Meinung zu verlangen, nach Alternativen zu fragen. Zu bremsen.
Ein entzündlicher Zökumtumor. Pah.
Die Narbe wird ganz klein sein. Und in 14 Tagen können Sie Ihr altes Leben wieder aufnehmen.
Diese Aussage ist wohl die falschmöglichste Prognose für die kommenden Wochen. Diese Aussage wird massiv zu meiner Wut beitragen. Doch zunächst geht es ganz gut, wie nach einer Blinddarmentfernung. Ein paar Schmerztabletten, Antibiotika, Langeweile, wenig Appetit. Mit Freunden gehe ich zwei Tage nach der OP in die Cafeteria der Klinik, es ist schönes Wetter.
Die morgendliche Standardfrage:
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie stark sind Ihre Schmerzen?
Meistens vier bis fünf. Zunächst.
Ein paarmal registriere ich bei den Schwestern unterdrückten Ärger, weil immer wieder ein Viggo , ein venöser Zugang, gelegt werden muss; das ist Aufgabe des Arztes, und der kommt und kommt nicht. Die examinierte Krankenschwester sieht in meinen Laienaugen kompetent genug aus, eine Vene zu finden. Nun gut, was weiß ich schon.
Übers Wochenende darf ich nach Hause, das fühlt sich an wie Geburtstag, Weihnachten und Karrieresprung gleichzeitig. Der unvermeidliche Zettel – Gegen ärztlichen Rat ist die Patientin nach Hause gegangen –, den unterschreibe ich gern. So sichert sich das Krankenhaus juristisch ab und hat doch einen Vorteil: Am
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