Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Bettpfanne oder für einen kalten Waschlappen gegen die Rötung auf der Haut zu sorgen? Überhaupt: Warum muss eine Fachkraft Bettwäsche wechseln? Das Essen bringen?
Die Schwestern würden wohl öfter wechseln, helfen, pflegen, tatsächlich das Bindeglied zwischen Ärzten, Therapeuten, Angehörigen und Patienten sein. Sie sind aber schlicht zu wenige.
Vor Jahrzehnten war ich einmal zu Besuch in einem griechischen Krankenhaus. Dort kauerten oder schliefen weibliche Angehörige der Patienten vor den Krankenbetten. Sie wuschen, fütterten den Kranken rund um die Uhr. Ein Dritte-Welt-Szenario. Aber meine Freundin und mein Mann machen das Gleiche, sie ersetzen fehlendes Personal. Sorgen für selbstgekochte Speisen, für saubere Haut. Muntern mich auf, fragen nach, holen Informationen ein, die nicht freiwillig gegeben werden.
Wer krank ist, muss selbst für Restkontrolle sorgen. Erklärungen? Mehr als ein paar Minuten und Allgemeinplätze sind nicht drin. Denn das System Krankenhaus macht Arbeitsverdichtung zur Norm.
Nachts ist eine einzige Person zuständig für die ganze Station; sie muss rennen, checken, verabreichen, Infusionen wechseln, die Bettpfanne bringen. Sie muss die Medikamente für den folgenden Tag zusammenstellen. Aber vor allem endloses Papier ausfüllen. Jede Handreichung, jeder Befund wird dokumentiert. Für die Versicherung? Für den Buchhalter? Den Anwalt? Liest das irgendjemand irgendwann? Und wenn ein paar Zimmer weiter der verwirrte Neuro-Patient verbotenerweise raucht, weil er es immer wieder schafft, Zigaretten und Feuer ins Zimmer zu schmuggeln, dann ist die einsame Schwester die halbe Nacht nur damit beschäftigt, die Station vor einem Brand zu bewahren.
Und wenn doch einer unter ständiger Beobachtung sein müsste?
Dann schiebt man das Krankenbett auf den Gang vor das Glasfenster des Schwesternzimmers, anders geht es nicht. Springer, die kurzfristig helfen könnten – da gibt es nur zwei fürs ganze Haus.
Eine junge Ärztin erzählt von goldenen Zeiten, als Medizinstudenten noch Geld verdienen konnten als nächtliche Sitzwachen für besonders auffällige oder notleidende Patienten. Vorbei, vorbei, kein Budget mehr.
Mein hochpreisliches Recht auf Wahlverpflegung erlaubt mir zum Beispiel ein extra Croissant am Morgen. Oder eine Cola. Es erlaubt mir aber nicht, zwei Portionen der Brühe zu bestellen, die ich mehr mag als die Hauptgerichte.
Zweimal dasselbe kann ich nicht ins System eingeben – so die Schwester mit ihrem Scanner.
Das System hat wohlklingende Namen für Mahlzeiten, deren Substanz ratlos macht. Da ist eine weißliche Scheibe, die von einer rosa Soße ertränkt wird, in der Aussparung daneben gestanzte Möhrenstücke und Matsch, der Kartoffelpüree imitiert. Alles, alles schmeckt nach feuchter Pappe in verschiedenen Stadien der Zersetzung. An einem anderen Tag gerate ich mit meinem Mann in Streit, ob das Stück feuchte Pappe (in Panade) nun Fisch oder Fleisch sei. Einfach nicht zu schmecken. Erst der Bestellzettel deklariert die Pappe als Truthahn. Natürlich, Großküchen können nicht Hochgenuss produzieren. Aber fast alles, was ich in den nächsten Wochen ausprobiere, ist trostlos schlecht.
It’s the economy, stupid . Geld regiert die Welt. Bei einer Großklinik lohnt es sich, pro Essen 20 oder 30 Cent zu sparen, das ist echte Kostensenkung. Bei einem kleinen Krankenhaus mit 200 bis 300 Betten rechnen sich Qualitätsabstriche nicht so dramatisch. Darum gilt das Essen in kleinen Häusern als viel besser.
An manchen Tagen träume ich von einer Revolte. Alle Patienten würden das weiße oder rosafarbene Zeug zum Fenster hinauswerfen. Wie Schleim würde das schlechte Essen die Fassade hinunter kriechen, ein gutes Bild für Nachrichtensendungen und Schlagzeilen. Verkrumpelte, durchgeschwitzte Laken? Aus dem Fenster damit!
Stattdessen bekomme ich mein Tablett hingestellt, es ist überschwemmt mit Brühe, eine fettig-feuchte Sauerei. Die Suppentasse war ausgelaufen. Wurde so angeliefert, kann ich auch nix für , meint der Praktikant und geht.
Die Blutwerte (Leukozyten, CRP ) bleiben schlecht. Eine neue Diagnose: In meinem rechten Nierenbecken hindert irgendetwas den Urin abzufließen, und die Gallenblase sieht auch entzündlich aus. Da muss – konsiliarisch – ein Urologe her. Und diese Begegnung ist surreal:
Die Schwestern fahren mich in meinem Krankenbett zum Nachbargebäude, unterirdisch durch einen langen Gang. Fahlgelbes Licht, an den Wänden stilisierte
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