Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Ratlosigkeit. Er wurde ein Freund. Es ist ein Glück, an solche Menschen zu geraten.
Nur: Es darf nicht Glückssache sein.
Sonia Mikich
ENTEIGNET
Chronik eines Krankenhausaufenthaltes
11. Juni 2011. Der tiefschwarze Moment: Angst, Verdruss, Misstrauen türmen sich auf. Wut auf ein Gesundheitssystem, das mich nicht gesunden lässt. Ein weiterer Eingriff wird nötig, denn meine Venen machen nicht mehr mit. Sie rutschen, sie rollen, sie sind schlapp. Nirgendwo kann gestochen werden, die Medikamente und Nährlösungen gelangen nicht mehr in die Blutbahn, die täglichen Blutentnahmen klappen nicht.
Der diensthabende Arzt wird informiert, hat keine Zeit. Nach ein paar Stunden Warterei entscheiden andere Ärzte: Runter in den Aufwachraum, dort wartet der Halskatheter, mit ihm werden Infusionen und Blutentnahmen besser funktionieren. Zum zweiten Mal erlebe ich diesen Eingriff, dieses Mal aber nicht – gnädig – nach einer OP mit Vollnarkose. Der diensthabende Anästhesist warnt:
Ich werde örtlich betäuben, aber es wird wehtun.
Der Raum ist leer, die Krankenschwester ist eine »Springerin«, kommt aus einer anderen Abteilung, kennt sich nicht gut aus mit dem Zubehör. Sie sucht und sucht und fragt und macht nervös.
Seitlich liegen und absolut stillhalten, sagt der Arzt, der am Bildschirm verfolgt, was meine Gefäße treiben. Eine Maske bedeckt mein Gesicht, mit dünnerem Gewebe vor dem Mund. Wachsende Atemnot, bin schweißnass. Dann die örtliche Betäubung. Stochern fürs Gelingen.
Seitlich liegen und stillhalten.
Das Stochern ist wie Folter, nur dass dieser Arzt Gutes will. Er schimpft ein wenig, denn auch diese Vene will zunächst nicht. Als er murmelt, dass er eine andere Stelle suchen, von Neuem stochern müsse, weine ich los. Ich hyperventiliere und bin überzeugt, dass ich aus diesem Krankenhaus nie wieder herauskomme. Dass mein Körper sich ergeben hat. Das System gewinnt. Der Patient ist die Münze, die in den Apparat geworfen wurde. Unten kommt eine Krankenakte heraus.
Zurück in den Mai 2011: Nach einer Woche vager, aber beharrlicher Bauchschmerzen raffe ich mich am 20. Mai zum Arztbesuch auf. Blut wird entnommen, Rezepte werden ausgefüllt. Zu behaupten, dass der Doktor mein Vertrauter ist, wäre übertrieben. Praxen meide ich bis auf Vorsorgeuntersuchungen, Erkältungen sollen ausgesessen werden, bin sehr selten krank oder unpässlich. Als am Tag drauf die Blutwerte aufgelistet sind, erzählt Dr. G. etwas von Anämie und erhöhten Cholesterinwerten und mehr Sport. Diagnose: Blähbauch. Kein Rat, keine Schlussfolgerung. Aber viel auf dem Rezept – Dimetican, Omeprazol, MCP .
Die Bauchschmerzen nehmen zu. Unruhe, Ratlosigkeit. Eine zweite Meinung? Der Internist Dr. B. ist erschrocken über die hohen Entzündungswerte auf dem Laborbefund, die Dr. G. ignoriert hat. Er sucht den Bauch Millimeter für Millimeter ab, der Ultraschall zeigt auffällige Stellen dort, wo Dünndarm und Dickdarm zusammenkommen.
Kann es Krebs sein?
Unwahrscheinlich, die Bilder sind untypisch. Aber doch bitte sofort ins Krankenhaus, heute noch, da ist auf jeden Fall eine schwere Entzündung.
In welches? SOFORT heißt doch, keine Zeit für eine Recherche zu haben, keine Zeit, nach Rankinglisten zu schauen, Empfehlungen und Erfahrungsberichte einzuholen. Und außerdem: Wie kann ich, als Laie, Qualitätskriterien haben und die richtigen Fragen stellen? Aber Krankenhäuser haben Apparate, und ohne Apparate kein Durchblick. Denkt man.
Es wird die Klinik P. Ein großes, städtisches Haus mit einer guten Bauchchirurgie. Tüchtige Handwerker, jedenfalls hoffe ich das.
Noch am Abend des 25. Mai werden zwei Ärzte der Notaufnahme nacheinander zwei Ultraschalluntersuchungen meines Bauchs machen. Sie stellen kaum Fragen, sie interessieren sich nicht sonderlich für die mitgebrachten Befunde von Dr. B. Keine Ahnung, ob sie voneinander wissen. Keine Ahnung, ob die Sonografie Nummer zwei sich unterscheidet von Nummer eins, der Bauch ist derselbe. Aber meine Akte bekommt Papiere.
Zwei Tage im Zweibettzimmer, von hier aus werden die Untersuchungen erfolgen. Ich wundere mich, wie viel Essen und wie viele Getränke meine Bettnachbarin gebunkert hat. Doch dann kommen um 8 Uhr, 13 Uhr und 17 Uhr die ersten Kostproben einer Versorgung bei mir an, die bestenfalls als Nahrungsmittelzufuhr bezeichnet werden kann. Ich wundere mich weniger.
Als Privatpatientin habe ich freie Arztwahl. Das bedeutet, ich mutiere zur Chefsache eines Professors oder
Weitere Kostenlose Bücher