Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
»meine« ARD diesen süß parfümierten Hirnschiss mitmacht, verübele ich ihr sehr.
Denken, denken, denken, denken. Selten in meinem Leben hatte ich so viel Zeit dazu. Der Körper macht mir keine Freude mehr, umso intensiver arbeitet der Kopf. Nächtelang erzähle ich mir, warum mein Mann liebenswert ist. Was meine beste Freundin auszeichnet. Wie ich mich als Tochter und Schwester bewähre. Ja doch, der Sinn des Lebens tut sich ausgerechnet im Siechtum auf. Lieben, lieben. Ich treffe den unoriginellen Vorsatz, mein Leben komplett zu ändern: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. So ungefähr.
Endlich beginnt der Countdown zur Freiheit. Rollstuhlfahrten nach draußen in die Sonne. Bis auf den Stomabeutel werde ich entkabelt und entschlaucht. Dreizehn Kilo habe ich abgenommen, die Muskeln sind verschwunden, ich gehe wie eine Greisin und übe mit einem Physiotherapeuten Treppensteigen. Eine Etage hinauf und wieder hinunter – das ist schon ein Erfolgserlebnis. Beim Entfernen der PDA erlebe ich noch einmal, wie miserabel Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Krankenhaus verlaufen kann:
Wir entfernen jetzt die PDA, das tut gar nicht weh, wie Pflaster entfernen.
So ist es dann auch.
Wenn Sie aber am Rücken irgendeine Veränderung spüren oder Ihre Beine sich merkwürdig anfühlen: Sofort melden. Das kann eine Querschnittslähmung bedeuten.
Ich raste aus. Nach der gefährlichen Bauchfellentzündung, nach dem Krebs-Szenario des seltsamen Uro im Souterrain, nach dem Psychiater-Angebot, nach der Warnung vor dem potenziellen Absterben einer Niere beim Harnleiterschienen-Eingriff nun zum Schluss die mögliche Querschnittslähmung.
Wissen Sie, WAS Sie gerade WIE gesagt haben? Lernen Sie im Studium überhaupt, mit Patienten zu reden? Richtige Worte zu finden?
Die Ärztin ist beleidigt, sie hat nur die Vorschriften befolgt und die mögliche Nebenwirkung benannt.
Misslungene Kommunikation vergeben Patienten nie, gelungene Gespräche vergessen sie nie … wird später jemand klug anmerken.
25. Juni: Vorläufige Entlassung, das Leben in der Vertikalen kann wieder beginnen, ich kann nach Hause, Beutel und Schiene dürfen mit. Dafür lasse ich elf Kilo Körpergewicht zurück. Den Besuch einer Fachfrau daheim nehme ich gern an, sie berät, was ich bei der Selbstversorgung des shit bag zu beachten habe. Ich staune, wann welches Essen unten im Beutel ankommt. Habe das Timing schnell verstanden, sodass ich nie in peinliche Situationen gerate. Nichts läuft über, nichts stinkt, nichts schmerzt, nichts ekelt. Es hängt halt ein Plastikbeutel an meiner Bauchdecke, der in den nächsten sieben Wochen geleert und gewechselt werden muss. Die Verdauungssäfte sind aggressiv, sie dürfen nicht auf die Haut geraten. Der Rand der Öffnung muss sauber bleiben. Alles sehr machbar. Und es gefällt mir, ein bisschen Kontrolle zurückzubekommen.
Die Blutwerte sind nach wie vor schlecht, bestimmte Antibiotika scheinen nicht mehr zu wirken. Mein Mann ruft aus einer Apotheke an, ob sich ein Schreibfehler auf dem Krankenhausrezept eingeschlichen habe: 40 Tabletten für 3600 Euro?? Wir haken telefonisch bei unserem Internisten nach, der im Internet Preise recherchiert und die Menge einfach halbiert.
Eine Tablette für 90 Euro! Sie brauchen nicht so viele, die Hälfte müsste reichen.
Er wird Recht behalten.
Große Lust, den allerersten Arzt in der langen Kette zu konfrontieren wegen Missmanagements meines Blähbauchs. Vielleicht ein Brief, damit er sich zumindest schämt? Mit Kopie an meine Kasse?
Sehr geehrter Dr. G., nun kam Ihre Honorarabrechnung, und sie erinnerte mich an meine Beschwerden Mitte Mai und an Ihre Diagnose und Therapievorschläge. (…)
Sie haben aus meiner Sicht den »Blähbauch« unzureichend diagnostiziert und sich fahrlässig auf Medikamentengaben verlassen. Ich habe Tage verloren, in denen die Entzündungen vermutlich schlimmer wurden. Ich habe kein Vertrauen mehr in Ihre Arbeit, Sie haben mich als Patientin verloren …
Die Kasse bekommt den Brief ebenfalls, er … dient Ihrer Information und vielleicht der Qualitätssteigerung …
Erwartungsgemäß melden sich weder Dr. G. noch meine Kasse. Bezahlt und abgeheftet. Der Vertrag besteht halt zwischen dem Arzt und mir, nicht mit der Kasse. Ich kann mich wegen überzogener Honorare, falscher Angaben usw. weigern, Geld zu überweisen. Der Arzt wird mich dann verklagen, nicht meine Versicherung. Den Druck habe ich. Dr. G. kommt nicht auf irgendeine schwarze Liste
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