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Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Titel: Entfernte Verwandte: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matti Rönkä
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aufgeklapptenGeigenkasten, stellte mich bequem hin und hörte zu. Das Streichquartett spielte mit voller Konzentration irgendein vage bekanntes klassisches Stück, die Köpfe der Musikanten nickten im Takt.
    Ich merkte, dass ich an Lena dachte, zum ersten Mal seit langer Zeit. Lena war damals in Leningrad meine Geliebte gewesen, sie war die erste und deshalb bedeutsam. Ich hatte sie verlassen, hatte geglaubt, sie verletzt zu haben, doch sie war noch einmal in mein Leben zurückgekehrt, hatte mich überrascht und dann mehrfach betrogen. Ich vermutete, dass auch die Straßenmusikanten am Konservatorium in Sankt Petersburg studierten, suchte in ihren Gesichtern nach vertrauten Zügen und schmunzelte, als mir klar wurde, dass sie viel jünger waren als Lena und ich. Der gleiche Irrtum unterlief mir bei jedem Besuch zu Hause in Sortavala. Mein Blick suchte unter den von der Schule heimkehrenden Jugendlichen nach Freunden und Bekannten, weil ich mich selbst dort nur in diesem Alter sah.
    Die Musiker beendeten ihr Spiel, dehnten die Arme und rollten mit den Schultern. Der schnurrbärtige Geiger trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche, sah mich an und grüßte höflich auf Russisch. Ich wünschte ihm alles Gute und ging.
     
    Oksana saß im Büro an ihrer Maschine, redete halblaut vor sich hin und trällerte zwischendurch einzelne Zeilen aus einem Lied. Ich lauschte ihr, während ich belanglose Post durchsah. Oksana war grundsätzlich nicht fähig, länger als ein paar Sekunden still zu sein. Stets war ihr geschäftiges Treiben von Gemurmel, Klagen und Gejammer, dem Klappern von Absätzen und Stoffgeraschel begleitet, von einer Art melodischem kleinen Lärm. Doch jetzt war Oksana lauter als sonst. Der Krach hatte einenfiebrigen Rhythmus und die Melodien, die sie trällerte, schraubten sich immer höher. Meine Sekretärin machte sich bemerkbar wie ein Kuckuck auf dem Ast.
    »Oksanka, was ist denn?«, fragte ich. »Probleme mit den Mädchen?«
    Oksana hatte mir haarklein und immer wieder erzählt, wie sie, Gottstehmirbei, voller Angst zur Wohnung in der Punavuorenkatu gegangen war, an der Tür geklingelt, freundlich gerufen und schließlich aufgeschlossen hatte. Am Küchentisch hatte sie zwei Frauen vorgefunden, mucksmäuschenstill. Die eine hatte einen Verband am Ohr gehabt, die andere hatte verschreckt Tee gekocht. Oksana hatte lange beruhigend auf die beiden Mädchen, Zinaida und Jelena, einreden müssen. Schließlich waren sie bereit gewesen, mit ihr zu gehen, nachdem sie ihnen geschworen hatte, Viktor Kärppä sei ein Gentleman und verteidige die Ehre einer Frau, auch dann, wenn die Frau einen schlechten Ruf habe, hatte Oksana leicht verlegen berichtet. Schon am nächsten Tag hatte sie für die beiden Mädchen eine Zweizimmerwohnung in Suurmetsä gefunden, jemand aus ihrem Bekanntenkreis hatte zufällig eine freie Wohnung und besaß zudem eine Putzfirma, in der gerade fleißige Hände gebraucht wurden.
    »Was ist denn, mein kleiner Buchfink?«, drängte ich, denn Oksana blieb zögernd an meinem Schreibtisch stehen.
    Sie rang die Hände und spitzte die Lippen, schaffte es ein paar Sekunden lang, harmlos und verwundert auszusehen.
    »Ach Viktor … diese Bekanntschaft … ist ein Mann«, gestand sie dann. Die letzten Worte hauchte sie nur noch.
    »Ein Mann?«, wiederholte ich und bereute im nächsten Moment meinen verdutzten, ungläubigen Tonfall.
    »Ein Mann, ein finnischer Mann. Esko. Ehrbar, ernst. Wirsehen uns öfter. Seit einiger Zeit«, fuhr Oksana fort, ohne beleidigt zu sein.
    Ich bemühte mich, interessiert zu wirken.
    »Wir haben … über die Zukunft gesprochen, über eine Familie … auch über Kinder«, wisperte meine Sekretärin mit glühenden Wangen.
    »Aha, so so«, stammelte ich.
    Vielleicht sollte ich dem Mann auf den Zahn fühlen, überlegte ich. Bestimmt ein heimlicher Trinker oder ein latenter Sadist, der Oksana verprügeln würde, wenn sie erst einmal verheiratet waren. Oder seine Verwandten würden sie schlechtmachen, eine Ausländerin, obendrein eine Russin, zumindest hinter ihrem Rücken. Ich sah Oksana an, die über den Fußboden schwebte und vor Träumen und glücklichen Zukunftsbildern triefte, auch wenn sie versuchte, sich zurückzuhalten.
    »Natürlich muss man vorsichtig sein. Und sich nicht Hals über Bein hineinstürzen. Ich bin ja kein schwarmiger junger Bratfisch mehr.« Oksana vergriff sich hier und da im Vokabular, machte aber unmissverständlich klar, dass sie vorhatte, bei klarem

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