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Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Entfernte Verwandte: Kriminalroman

Titel: Entfernte Verwandte: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matti Rönkä
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Oktanzahl ließ sich zum Motor eines Wolga-Taxis zurückverfolgen, der Hauch von Petroleum zu einer knatternden Maschine.Viktor, sagte Lena hinter mir. Sie sprach mich mit meinem offiziellen Vornamen an, statt einen Kosenamen zu benutzen. Lena wirkte gealtert wie eine Filmschauspielerin, die für die letzte Szene zur Greisin geschminkt wird. Ihr Gesicht war runzlig, die Haare waren zu harten Locken aufgedreht. Sie trat vor, stark hinkend und auf einen Stock gestützt, ging in der gleichen Art, wie Menschen mit angeborenem Hüftschaden es taten, früher, heute behandelt man sie ja schon als Säuglinge, fixiert die Hüfte mit Gips … Aber warum humpelt Lena, fragte ich meinen Traum, ich habe doch nicht auf sie geschossen, sondern auf ihren Freund. Meinen ehemaligen Freund …
     
    Die hellen Vorhänge, die das Schlafzimmer kaum verdunkelten, wehten in der ein wenig kühleren Morgenluft. Ich stand auf und ging durch das Wohnzimmer nach draußen. Marja saß auf der Terrasse mit einem untergeschlagenen Bein, trank Kaffee und las Zeitung. Ich sagte guten Morgen und war froh, dass Marja keine Unterhaltung anfing.
    So leicht würde ich mich dort einfügen, immer noch?, fragte ich mich verwundert. Und sehnte ich mich immer noch nach Russland und nach Lena und auch nach Walerij, meinem Freund, mit dem ich aufgewachsen war und der mich betrogen hatte? Ich konnte mir nur immer wieder sagen, dass man seine Vergangenheit weder kaufen noch verkaufen kann, nicht einmal verändern oder verleihen.
    »Was?« Ich schrak aus meinen Gedanken und merkte, dass Marja etwas gesagt hatte.
    »Es riecht nach Rauch«, wiederholte sie.
    »Waldbrände, weit hinter der Grenze, in Karelien und auf der Landenge«, erklärte ich.

29
    »Na, tritt näher, mein Junge. Ein seltener Gast, ich muss mir den Tag im Kalender anstreichen«, frotzelte Onkel Olavi und verbeugte sich in gespielter Verwunderung und Hochachtung. Er ließ mich ein und komplimentierte mich in die gute Stube seiner kleinen Wohnung, hielt mich am Arm fest, als ich einfach in die Küche gehen wollte.
    Onkel Olavi war tatsächlich mein Onkel. Meine Großeltern mütterlicherseits waren Ende der 20er Jahre aus Finnland gekommen, voller Optimismus, um den Leninschen Sozialismus mit aufzubauen. Oma lebte noch bei uns, als ich ein Schuljunge war. Ich machte abends im Licht der gelblichen Lampe meine Hausaufgaben. Oma flocht ihren zum Knoten hochgesteckten langen Zopf auf, bürstete sich mit langsamen Strichen die Haare und sang leise auf Finnisch.
    Mutter und Olavi waren in Olonetz geboren worden, in der Autonomen Sowjetrepublik Karelien. Gemeinsam hatten sie ihre Jugendjahre im Stalinismus verbracht, hatten die Säuberungen erlebt, die Kriegszeit … Ich kannte den Lebenslauf meiner Eltern und Verwandten in groben Zügen, aber allzu viel war unklar geblieben. Vater war gestorben, bevor ich alt genug war, um Fragen zu stellen, und Mutter hatte viele ungehörte Geschichten mit ins Grab genommen.
    Aber Onkel Olavi war am Leben und geistig rege und in Finnland.
    »Ein kleines Mitbringsel«, sagte ich und reichte ihm eine in Geschenkpapier gewickelte Flasche. Olavi bedankte sich, echter französischer Kognak, dabei hätte es armenischer doch auch getan. Er wollte uns beiden unbedingt davon eingießen. Ich lehnte ab und sagte, er solle ruhig ein Gläschen trinken, aber ich würde höchstens eine Tasse Tee zu mir nehmen. Mein Onkel eilte in die Küche und deckte den Tisch.
    Ich betrachtete die spärliche Möblierung des kombinierten Wohn- und Schlafzimmers. Nur einige Fotos und Bücher auf dem Furnierholzregal und die langsam tickende Wanduhr erinnerten an Onkels Vergangenheit. Olavi war erst vor zwei Jahren von Sankt Petersburg nach Finnland gezogen, und sein Umzugsgut hatte in zwei Koffern Platz gefunden. Gleichzeitig war aus Oleg Melnikow wieder Olavi Mylläri geworden.
    Onkel Olavi war schon vor mehr als zehn Jahren pensioniert worden, hatte aber auch danach kaum über seine Arbeit gesprochen. Er war Offizier gewesen, im Majorsrang, hatte jedoch keine Uniform getragen. Stattdessen hatte er ein kleines Büchlein in der Tasche gehabt, das ihm mehr Respekt verschaffte als eine Uniform mit Sternen auf dem Kragenspiegel. Auf dem Pappeinband prangten die Worte Komitet Gosudarstwennoj Bezopasnosti und die Abkürzung KGB .
    Nach dem Ende der Sowjetunion hatte mein Onkel noch eine Weile im Dienst des FSB gestanden, doch als Rentner war er durch das Raster von Staaten und Systemen gefallen. Die paar

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