Entfernte Verwandte: Kriminalroman
Verstand zu bleiben. Ich fühlte mich, als hätte sie mich beim Lesen ihrer Liebesbriefe ertappt oder bei irgendeiner anderen eifersüchtigen Spitzelei, die sich als wohlmeinende Fürsorge tarnt.
»Nun geh schon, mein Quarkbällchen«, sagte ich milde. »Ich muss ein paar Telefongespräche führen, die du besser nicht mit anhörst.«
Oksana strahlte, als hätte ich ihr meinen väterlichen Segen erteilt. »Ich habe etwas in der Stadt zu erledigen.«
»Geh in Kruunuhaka bei Rothovius vorbei«, schickte ich sie zu meinem Anwalt. »Du bringst ihm ein paar Vollmachten und Aufträge, er muss einige Firmen umstrukturieren und Gelder umschichten.«
Ich hatte mir einige Schubladenfirmen zugelegt, die über eine lange und Vertrauen erweckende Unternehmensgeschichte in Finnland verfügten. In einer ehrlichen Firma konnte man gelegentlich Gelder zum Abkühlen parken. Diese Firmen konnten zudem brauchbare Quittungen über Ausgaben produzieren, die ich in Rechnung stellen wollte, und andererseits Entschädigungen für geleistete Arbeiten an den VK -Konzern zahlen, wenn ich eine Erklärung für die Geldbewegungen brauchte.
Die Bank würde ihre Kautionseinlage über eine geschlossene und haltbare Firmenkette erhalten. Nur musste ich zuerst das Geld auftreiben.
28
Ich wählte eines der Handys in meiner Schreibtischschublade und schloss es an das Ladegerät an. Zur Sicherheit hatte ich mir einige Reservetelefone angeschafft, die ich nur gelegentlich verwendete, mit wechselnden Anschlüssen und an verschiedenen Orten. Ich schob eine ungebrauchte, im Voraus bezahlte Sim-Karte hinein. Die Nummer wusste ich auswendig, obwohl ich selten in Sankt Petersburg anrief.
»Sprich«, meldete sich ein Mann nach dem ersten Rufzeichen. Ich hatte eine gedehnte Frauenstimme erwartet, im Hintergrund das leise Geräusch von gelangweiltem Nägelfeilen.
»Ich versuche, Onkel zu erreichen«, sagte ich höflich.
»Natürlich, sonst hättest du nicht hier angerufen«, entgegnete der Mann besserwisserisch und unvermindert unfreundlich.
»Für Spielereien habe ich keine Zeit, mein Junge. Ist Onkel da oder nicht?«
»Wer?«
»Onkel.«
»Nein, wer fragt?«
»Sag ihm, Vitja, der Skiläufer.«
Ich hörte gedämpftes Murmeln, offenbar lag eine Hand auf dem Hörer, dann wurde die Verbindung wieder frei, und Onkel begrüßte mich in aller Ruhe, als wäre er gerade vom Dorfbrunnen zurückgekehrt.
»Vitjuha, mein Junge, bist du hier in Petersburg? Komm doch ins Hauptkontor. Und zwar nicht nur für eine Stippvisite, bring Zeit mit. Komm jetzt gleich.«
Ich musste lächeln, als ich mir vorstellte, wie er seine Worte mit ausladenden Gesten auf den Weg schickte.
Onkel sprach vom Hauptkontor, aber am Dach des Wohnhauses aus der Zarenzeit hätte man vergeblich nach einer Lichtreklame gesucht, und am Eingang wies kein protziges Messingschild den Weg ins Büro. Kaum jemand gab zu, dass das Unternehmen überhaupt existierte, jedenfalls nicht, wenn er selbst dort arbeitete. Der eine oder andere sagte vielleicht, er gehöre zur semja , zur Familie, und meinen Gesprächspartner nannten alle Onkel, doch das machte die Firma nicht zum Familienunternehmen. Eher war es ein Zusammenschluss, eine lockere Organisation.
Doch über diese assosiatsija lief ein beträchtlicher Teil der organisierten Kriminalität in Sankt Petersburg, und Onkel war ihr unangefochtener und respektierter zweiter Mann.
»Es tut mir leid, ich bin in Finnland.«
Onkel wartete schweigend darauf, dass ich mein Anliegen zur Sprache brachte.
»Ich habe einen Geschäftsvorschlag. Oder Finanzierungsbedarf. Gleichzeitig biete ich euch die Möglichkeit, eine gute Rendite zu erzielen und eventuell problematisches Geld legal zu machen.«
»Sprich weiter. Im Prinzip sind wir an dem Angebot interessiert«, sagte Onkel. Seine bäuerliche Sprechweise war verschwunden, wie immer, wenn er über geschäftliche Dinge sprach.
Ich erzählte ihm offen von meinem akuten Geldmangel, der behoben wäre, sobald ich die Häuser auf meinem leerenGrundstück hochgezogen und verkauft hätte. Bei der günstigen Marktlage seien die Wohnungen problemlos zu verkaufen, versicherte ich, es würde auf jeden Fall ein Gewinn dabei herausspringen. Das Bauland koste nichts, Kapital werde nur für Arbeit und Material gebraucht. Kurz und präzise schilderte ich mein Kautionsproblem und die Konstruktion, mit der ich es lösen wollte. Mit Unterstützung aus Sankt Petersburg, fügte ich höflich hinzu.
»Ich rufe dich in zehn Minuten
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