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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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am Geländer fest. Mit der Rechten hielt sie die Riemen ihrer Tasche und des Rucksacks zusammen. Hielt die Riemen mit der Faust vor dem Brustbein. Sie fuhr den Holzlauf entlang. Mit der Linken. Glatt und kalt. Die Rundung passte genau in ihre Hand. Wenn sie die Hand um den Holzlauf schloss, konnte sie unten das Metallband spüren. Ihre Fingerspitzen glitten die Metallkanten entlang. Das Metall einen Geschmack auslöste. Sie konnte sich vorstellen, wie das Metall schmeckte. Ihr Pass war gültig. Noch 2 Jahre. Die Engländer waren da genau gewesen. Aber da waren sie noch nicht in der EU gewesen, wie sie einen zurückgeschickt hatten. Wenn der Pass nur noch 2 Monate gültig gewesen war. Das passierte einem jetzt nicht mehr. Mit einem EU-Pass. Im Mezzanin standen 2 Männer vor der Tür zu den Büchelrieders. Die Männer standen ruhig da. Still. Zur Wohnungstür gewandt. Sie konnte nur die Rücken sehen. Anzüge. Dunkel. Dunkle Haare. Sie redeten nicht. Selma hatte die Männer nicht heraufgehen gehört. Waren diese Männer schon die ganze Zeit vor dieser Tür. Wer hatte diesen Männern aufgemacht. Wenn bei den Büchelrieders niemand aufmachte. Sollte sie sie fragen. Was sie wollten. Was sie da machten. Sie zögerte. Machte kleinere Schritte. Sie war schon wieder auf der Stiege, als sie die Frau Büchelrieder hörte. Sie hörte die Frau grüßen. »Ja. Kommen Sie herein.« hörte Selma sagen. Sie ging weiter. Sie hielt die Riemen mit beiden Händen vor ihrer Brust fest. Sie wollte nicht nachdenken, wer diese Männer waren. Was sie bedeuteten. Man stellte sich ja ohnehin nur vor, was einem einfallen konnte. Sie dachte, dass das die Leichenabholer von der Wiener Städtischen Bestattung waren. Und dass der Herr Büchelrieder von der Frau Büchelrieder heute Morgen tot im Badezimmer aufgefunden worden war. Während er sich seinen Schnauzbart gestutzt hatte, war er tot zusammengebrochen und die Bartschere hatte sich in ein Auge gebohrt. Beim Fallen. Und in Wirklichkeit waren das 2 Installateure gewesen, die den tropfenden Abfluss in der Küche reparieren sollten. Sie ging über den gekachelten Zwischenabsatz. Senffarbene Kacheln mit blauem Mäander rund um den Rand. Am Küchenfenster zur Hausmeisterwohnung vorbei. Ein Radio lief. »Theo, wir fahr’n nach Lodz.« Geschirr klapperte. Sie stieg die 3 Stufen zur Einfahrt. Das Stöckelpflaster weich. Wie federnd. Die Tür zum Hof geschlossen. Das blaue Glas in den Türfenstern das Licht draußen hielt. Beim Tor war es fast schon dunkel. Sie ließ die Handtasche von der Schulter gleiten. Warum hatte sie den Schlüssel in die Tasche gesteckt. Sie suchte nach dem Schlüssel. Sie musste den Rucksack abstellen. Auf dem Boden neben der Haustür. Die Haustür in das große Holztor geschnitten. Sie lehnte sich gegen das Tor. Hielt die Tasche vor sich. Griff in der Tasche herum. Tastete nach dem Schlüssel. Sie sah auf das Tor zum Hof. Die blauen Scheiben hatten grüne Mäander an den Rändern. Das Licht das Grün leuchten ließ. Das Blau stumpf. Sie fand den Schlüssel. Hielt ihn in der Tasche in der Hand. Sie ließ die Tasche sinken. Ließ die Tasche zu Boden gleiten. Hielt den Schlüsselbund in ihrer Hand. Das Gefühl war wieder da. Das Gefühl schon eine Erinnerung. Aber die Erinnerung. Sie war nach einem Mittagsschlaf aufgewacht. Sie war aus einem Dösen nach dem Mittagessen. Sie war auf dem Bett gelegen. Die Pölster hoch aufgetürmt. Sie war mehr gesessen als gelegen. Sie hatte das Buch weggelegt und die Augen zugemacht. Eine wohlige Schläfrigkeit. Wegsinken. Und beim Aufwachen. Beim Zu-sich-Kommen. Beim Wieder-an-sich-Denken. In ihrer Brust zog sich die Erinnerung an diesen Augenblick zusammen. Eine Schwere. Eine Schwere versammelte sich an der Stelle. An der Stelle zwischen Brustbein und Nabel. In der Bucht unter dem Brustbein. Aber auch in der Erinnerung sprach sich der Satz selber. An dieser Stelle. Sie spürte es wieder. Da. Eine Wiederholung war das. Eine Vorführung. Eine Wiederaufführung. »Das bist du, die sterben wird.« Hatte der Satz sich gesagt. Der Satz hatte sich selbst gesprochen. An dieser Stelle. Sie hatte im Dösen nach dem Mittagsschlaf auf diesen Satz an sich selber hinuntergesehen. Hinuntergehört. Die Betonung war auf dem Du gelegen. Auf diesem Du. In der Wiederholung hatte sie den Relativsatz verbessert. »Die sterben wird müssen.« sagte es sich vor. »Das bist du, die sterben wird müssen.« Mit der Erinnerung in der Wiederholung des Satzes an dieser

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