Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
zum Henker mit meinem blöden Seherstein los ist. Und Stark würde mit mir kommen, und ich müsste nicht mehr jeden Tag Aurox begegnen und mir wünschen …
Nein! Ganz schnell schob ich diesen Gedanken weg. Ich wünschte mir gar nichts. Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Dass meine Gefühle jetzt wieder so durcheinander waren, lag nur daran, dass Aphrodite und Shaylin mein Innenleben total ins Chaos gestürzt hatten.
Und ich konnte mich nicht nach Schottland absetzen. Jedenfalls nicht jetzt. Ich musste bleiben, mich meinen Freunden – und Pseudo-Freunden – stellen und Ordnung in das Chaos bringen, in dem das House of Night mal wieder versank.
Gott, es war so deprimierend. Und nervtötend. Und ermüdend.
Wieder rollte ein Donner heran, diesmal noch näher. Indem ich wegrannte und mich versteckte, würde ich leider gar nichts in Ordnung bringen. Ich musste zurück zur Schule. Vielleicht hatte ich Glück, und Stark hatte meine emotionale Entladung verschlafen, und ich konnte ins Bett kriechen und noch ein bisschen schlafen, bis mich nach Sonnenuntergang der Shitstorm erwartete.
Ich stand auf und wollte gerade wieder die Treppe raufgehen, da traten am oberen Ende zwei Männer zwischen den Azaleenbüschen hervor. Sie wirkten verwahrlost und dreckig. Ihre Klamotten passten nicht richtig. Einer von ihnen hatte einen Plastik-Müllsack geschultert, wodurch er ein bisschen aussah wie ein magersüchtiger Santa Claus. Er sah mich zuerst. Er stieß seinen Kumpel mit dem Ellbogen an, deutete mit dem Kinn auf mich und entblößte grinsend seine verfaulten Zähne. Sein Freund nickte, und sie stiegen die Treppe herunter.
Mist nochmal.
Ich hätte einfach in Richtung Einundzwanzigste Straße davonlaufen sollen. Das wäre das Sicherste und Logischste gewesen. Fast hätte ich es auch getan, aber dann fiel mir ein, wer ich war, und ich wurde sauer. Ich war kein schwaches kleines Mädchen, das man einschüchtern und rumschubsen konnte. Ich war eine Hohepriesterin in Ausbildung. Ich hatte eine Affinität zu allen fünf Elementen. Himmel, ich war ein so gut wie erwachsener Vampyr! Durfte ich nicht mal sonntagmorgens im Park spazieren gehen, ohne dass ich gleich blöd angemacht wurde?
Statt wegzurennen, setzte ich mich wieder auf die Bank. Vielleicht würden sie ja auch einfach vorbeigehen, »Morgen« sagen und fertig. Vielleicht.
»Hey, du da, hast du ’n bisschen Kleingeld?«, fragte der Erste, als er unten angekommen war.
»Ja, wir brauchen dringend was zu essen«, sagte der andere.
Ich hatte mein Gesicht abgewandt in der Hoffnung, dass sie mich nicht beachten würden. Jetzt hob ich das Kinn und sah sie geradewegs an. Ihre Augen weiteten sich, als sie meine Tattoos erkannten.
»Wie bitte?«, fragte ich und spürte, wie meine Wut wieder dem Siedepunkt gefährlich näher kam. »Wo, glaubt ihr, lebt ihr, dass ihr’s okay findet, ein Mädchen ganz allein in einem verlassenen Park um Geld anzuschnorren?«
»Was denn«, sagte der Typ mit dem Müllsack. »Du bist ’ne Vampyrin. Als hättest du Angst vor uns.«
Sie dachten, ich wäre eine erwachsene Vampyrin. Und das machte
ihnen
Angst.
Das freute mich.
»Aber einem Menschenmädchen würdet ihr jetzt Angst einjagen, damit sie ’n paar Münzen rausrückt?« Was für elende Arschlöcher.
Der zweite Typ zuckte mit den Schultern. »Wenn sie sich so leicht Angst einjagen lässt, soll sie halt nicht hierherkommen.«
»Ach, dann ist das Mädchen also selbst schuld?« Ich hatte die Frage rein rhetorisch gestellt, aber der Müllsack kapierte das nicht.
»Klar ist sie das.«
»Aber wenn sie ’n bisschen Moos für uns hat, braucht sie gar keine Angst zu haben.«
»Wir nehmen aber keine Kreditkarten.« Der Müllsack lachte und boxte seinen Kumpel in den Arm.
»Ihr seid miese Dreckskerle. Alle beide. Sucht euch gefälligst ’nen Job, statt kleine Mädchen zu erpressen.«
»Beim Kleine-Mädchen-Erpressen springt mehr raus.«
»Wisst ihr was?« Ich stand auf. Mir war, als glühte ich über und über. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll. »Ihr habt euch heute das falsche kleine Mädchen ausgesucht. Denkt daran – ich saß ganz friedlich da und hatte euch überhaupt nicht beachtet. Ihr seid ganz allein selbst schuld.«
»Hey, wir wollten doch gar nichts von dir. Wir wären einfach weitergegangen«, sagte der Zweite und packte seinen Kumpel am Arm, um ihn wegzuziehen.
Der Müllsack grinste mich schleimig mit seinen schwarzen Zahnstummeln an. »Komm wieder runter,
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