Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
in die Privatsphäre von Leuten eindringen konnte. Himmel nochmal, wir hatten uns überlegt, wie sie damit umgehen sollte! Und zwar ganz und gar nicht, indem sie mir nachschnüffelte und mit Aphrodite über mich tuschelte wie eine verdammte Sechstklässlerin.
Mir stieg schon das Blut ins Gesicht, wenn ich nur daran dachte, wie sie Aurox und mich in der Mensa beobachtet hatte. Ach was, mir wurde über und über heiß! Kein Wunder, dass ich ihr eines vor den Latz geknallt hatte. Oh, wie schockiert Aphrodite darüber gewesen war. Aber Aphrodite hatte diesen Spionagemist erst in Gang gebracht.
War Aphrodite wirklich meine Freundin? Als ich sie kennengelernt hatte, war sie ein höllisches Biest gewesen. Hatte sie sich wirklich verändert, oder war ich lediglich blind gegenüber ihren Fehlern geworden, hatte nur das gesehen, was ich sehen wollte, und verdrängt, was sie war?
Himmel. Ging es ihr etwa immer noch um Macht und Beliebtheit? Gehörte das Herumspionieren vielleicht zu einem Plan von ihr, meine Position zu untergraben und meinen Platz einzunehmen?
Wie zur Bestätigung meiner Gefühle grollte es noch einmal am Himmel.
Mit brennender Brust überquerte ich noch eine Straße und blieb dann stehen. Ich war am Ende der sauber gepflegten Wohngegend angekommen. Meine Güte – ich war den ganzen Weg bis zum Woodward Park gelaufen. Fast wäre ich umgedreht. Sonntags strömten dort normalerweise massenhaft Leute hin, um sich gegenseitig zwischen den Blumen und Bäumen zu fotografieren und so. Aber als ich genauer hinsah, kam mir der Park verlassen vor. Das nahende Gewitter musste die Ausflügler abgeschreckt haben. Und ich bemerkte, dass die Narzissen anfingen zu blühen. Ich liebte es, wenn die Narzissen sich aus dem Gras aufrichteten und die gelben Köpfchen zu heben begannen. Grandma und ich hatten uns oft darüber unterhalten, welch einen Zauber diese Frühlingsboten ausstrahlten, wenn sie so plötzlich und unerwartet aus der Erde schossen.
Ich brauchte jetzt definitiv eine große Dosis Frühlingsmagie. Auf in den Woodward Park!
Erleichtert, ein Ziel zu haben, betrat ich den Park und schlenderte zwischen den Narzissenfeldern in Richtung des Teils der Anlage, der an die Einundzwanzigste Straße grenzte. Auf dem Hügel dort wuchsen die meisten Azaleen, und ich liebte die Felslandschaft mit den Natursteinpfaden, die zwischen den Büschen hindurchführten. Vielleicht fand ich am Fuß des Felshügels eine versteckte Bank unter einer Azalee und konnte mich endlich in meine Probleme vertiefen. Wenn es anfing zu regnen – na und? Wenigstens würden dann die Gaffer wegbleiben.
Ich ging den gepflasterten Weg zwischen den Azaleenbüschen entlang, die so hoch waren wie ich. Die Knospen schwollen schon an, aber noch war nicht zu erkennen, welche Farbe sie einmal haben würden.
Wahrscheinlich würde das blöde Gewitter sie sowieso kaputthageln, so dass sie nie zum Blühen kamen.
Ich kickte einen Stein weg.
Aphrodite hatte mir nachspionieren lassen! Ich bekam das einfach nicht aus dem Kopf. Ich fragte mich, was Stevie Rae dazu sagen würde, wenn ich es ihr erzählte. Aber dann fiel mir ein, dass ich ihr in diesem Fall auch von Aurox und mir in der Mensa erzählen musste, und das wollte ich keiner lebenden Seele anvertrauen, nicht mal Stevie Rae –
Ich blieb stehen. »Oh Mist! Das mit der Geheimhaltung kann ich vergessen. Nie im Leben werden Aphrodite und Shaylin darüber den Mund halten.«
Ich war an der Treppe angelangt, die hinunter in den ausgehöhlt wirkenden Felsgarten mit dem flachen Teich führte, der den Park im Westen begrenzte. Kurz überlegte ich, ob ich mich von dem Felshang werfen sollte, aber wahrscheinlich war er nicht hoch genug, um mich zu töten. Und eigentlich wollte ich mich auch gar nicht umbringen. Wäre allerdings Aphrodite bei mir gewesen, ich wäre in großer Versuchung gewesen, sie von der Felswand zu stoßen!
Ein erschreckend befriedigender Gedanke.
Ich stieg die Treppe ganz hinunter. Nicht weit entfernt stand eine Bank auf dem Rasen. Wieder rumpelte es am Himmel. Ich setzte mich und sah finster nach oben. Ja, bald würde es regnen. Sehr bald. Ich seufzte und sah mich um. Vielleicht lag es an dem herannahenden Gewitter, aber plötzlich erinnerte mich dieser kleine Teil von Woodward Park an die Isle of Skye. Ganz unerwartet überkam mich Heimweh.
Ich sollte dorthin zurückgehen. Dort war alles gut. Niemand hat mir nachspioniert. Niemand wollte mich umbringen. Ich könnte Sgiach fragen, was
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