Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
dann haben wir sie von der Dachterrasse geschmissen
. Ja, das wäre richtig gut gekommen.
Zu hören, wie sie sie als ›arme Neferet‹ bezeichneten, war mehr, als ich ertragen konnte. Himmel, mein Kreis und ich hatten die ›arme Neferet‹ gerade noch daran hindern können, mitten auf unserem Tag der offenen Tür feste Gestalt anzunehmen und sich ein paar Städter zu genehmigen! Vielleicht war die ›arme Neferet‹ sogar schuld daran, dass Erins Körper sich der Wandlung verweigert hatte. Es war ja schon ein merkwürdiger Zufall, dass Erin sterben musste, kurz nachdem die eklige halbmaterielle Ex-Hohepriesterin durch sie hindurchgerauscht war.
Ich beherrschte mich also, und statt meiner Wut vor aller Augen Luft zu machen, nutzte ich das Durcheinander, das durch den Tod einer Jungvampyrin in aller Öffentlichkeit entstanden war, um mich auf eine Bank jenseits der Stallungen zurückzuziehen, tief Luft zu holen und nachzudenken.
Ich ließ den Atem wieder ausströmen und dachte weiter nach. »Ich verstecke mich nicht, Stark«, sprach ich aus, was ich fühlte. »Ich brauchte nur ’nen Moment für mich, um zu verdauen, was für Diskussionen das Desaster da«, ich schwenkte die Hand in Richtung Campusmitte, »wieder auslösen wird.«
Er setzte sich neben mich auf die Bank und nahm meine Hand. »Ich versteh schon. Mir fällt’s auch nicht leicht, mit dem Tod umzugehen«, sagte er leise.
»Ja.« Mit dem Wort entschlüpfte mir ein kleiner Schluchzer. Göttin, was war ich für eine Heuchlerin! »Weißt du was? Ich bin auch nicht besser als diese klatschenden und tratschenden Menschen. Du hast recht. Ich verstecke mich hier
wirklich
und bin sauer und tue mir selbst leid, statt einfach nur traurig zu sein, dass gerade eine aus unserem Kreis gestorben ist.«
»Du musst doch nicht perfekt sein, Z. Das erwartet niemand.« Stark drückte meine Hand. »Aber hör mal, es wird nicht für immer so weitergehen.«
Mein Magen verkrampfte sich. »Vielleicht ist das das Problem. Ich weiß nicht, ob es nicht
doch
für immer so weitergehen wird.«
»Hey, wir haben jetzt schon zum zweiten Mal Neferet besiegt – und heute Abend hat sie nicht die beste Figur gemacht. Überleg mal – Spinnen? Ist das alles, was ihr noch einfällt? Sie kann nicht bis in alle Ewigkeit weiter gegen uns kämpfen.«
»Sie ist unsterblich, Stark. Man kann sie nicht töten. Und das heißt, sie
kann
bis in alle Ewigkeit gegen uns kämpfen«, entgegnete ich düster. »Und aus den Spinnen hatte sie sich in ekliges schwarzes Klebzeug verwandelt, das schon wieder anfing, sich zu ihrem Körper zu formen. Brrr. Sie ist wieder da.«
»Na, wenigstens wissen jetzt alle, dass sie böse ist«, wandte er ein.
»Nein, das wissen nicht
alle
. Die Vampyre ja – wobei der Hohe Rat beschlossen hat, nicht mal den kleinen Finger gegen sie zu rühren. Aber die Menschen hier in Tulsa – Himmel, der Bürgermeister samt Stadtrat – halten sie praktisch für Glinda, die Gute Hexe des Nordens. Dass ich gerade so sauer bin, liegt daran, dass ich vorhin gehört hab, wie so ein paar Krawattenheinis und Elternvertreterinnen über sie redeten und sich fragten, ob wir was damit zu tun hätten, dass ihre Suite verwüstet wurde und die ›arme Neferet‹«, ich setzte es mit den Fingern in Anführungszeichen, »seither nicht mehr gesehen wurde.«
»Wirklich? Das kann doch nicht wahr sein.«
»Doch. Mit ihrer Pressekonferenz hat Neferet dafür gesorgt, dass sie bei allem, was seither passiert ist, wie das unschuldige Opfer wirkt.«
»Egal. Die Sache ist, wir konnten nicht anders als deine Grandma retten und Neferet dabei gründlich zusammenfalten. Wir waren verhüllt. Niemand hat uns gesehen. Das Geschwätz hat also weder Hand noch Fuß. Kümmere dich nicht darum.«
»Um Geschwätz muss man sich immer kümmern, Stark. In diesem Fall denke ich, es bedeutet, dass schon ein kleinerer Super- GAU nötig sein wird, damit auch nur ein Nichtvampyr durchschaut, was mit Neferet los ist.«
»Da hast du wahrscheinlich recht, aber das ist doch erfreulich.«
»Hä?«
»Neferet war noch nie fähig, für eine Weile von der Bildfläche zu verschwinden und Gras über eine Sache wachsen zu lassen. Und sich als Opfer darstellen ist erst recht nicht ihre Stärke. Wenn sie es schafft, sich wieder zu sortieren – im wahrsten Sinne des Wortes – und sich einen Körper aus mehr als schwarzem Schleim zu bauen, wird sie genau da weitermachen, wo sie aufgehört hat. Irgendwann wird ihr klarwerden,
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