Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
erst ein – hob sie die Hände im wenig effektiven Versuch, ihre intimsten Regionen vor seinen sich weitenden Augen zu schützen. »Charles!«, wiederholte sie seinen Namen und fügte schluchzend hinzu: »Sie haben mir weh getan!«
»Neferet?« Sichtlich verwirrt machte Charles einen Schritt auf sie zu – aber nur einen. »Sind das wirklich Sie?«
»Ja! Ja! Oh Göttin, dass ausgerechnet Sie mich hier finden müssen, nackt, verwundet und ganz allein. Oh, es ist so schrecklich! Ich kann nicht mehr!« Herzzerreißend schluchzte Neferet auf und schlug die Hände vors Gesicht, damit er ihren Körper auch ja ausgiebig bewundern konnte.
»Ich verstehe nicht. Was ist Ihnen zugestoßen?«
»Charles!«, ertönte es in diesem Augenblick schrill von fern, irgendwo auf dem Schulgelände, und beide hielten inne. »Was brauchst du denn so lange?«
»Liebes, ich habe hier –«, setzte Charles zur Antwort an, aber Neferet eilte auf ihn zu, ergriff seine Hand und schnitt ihm das Wort ab. »Nein! Sagen Sie ihr nichts von mir. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie wüsste, was mir angetan wurde«, flüsterte sie verzweifelt.
Sein Blick lag wie gebannt auf Neferets nackten Brüsten. Er räusperte sich und rief: »Frances, Liebes, es tut mir leid. Ich habe den Autoschlüssel fallen lassen und muss ihn erst suchen. Ich bin gleich bei dir.«
»Typisch! Ständig passiert dir so was, mit deinen zwei linken Händen!«, kam die spitze Antwort.
»Gehen Sie zu ihr! Vergessen Sie, dass Sie mich je so gesehen haben!«, wimmerte Neferet und stolperte zurück in die Schatten an der Schulmauer. »Ich komme zurecht.«
Charles eilte ihr nach und zog sich sein Anzugjackett aus. »Was reden Sie da? Ich werde auf keinen Fall gehen und Sie hier nackt und verletzt zurücklassen. Hier, nehmen Sie meine Jacke. Erzählen Sie mir, was passiert ist. Ich weiß, dass Ihr Penthouse verwüstet wurde. Wurden Sie entführt?«
Neferets Blick fiel auf seine Hände, die ihr das Jackett anboten. Mit einem Mal stürmten Erinnerungen auf sie ein, ihre Lippen wurden so kalt und taub, dass sie kaum sprechen konnte. »Ihre Hände sind so groß. Ihre Finger. So – so dick.«
Verwirrt blinzelte Charles. »Ja, mag sein … Neferet, geht es Ihnen gut? Sie wirken tief verstört. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Helfen?« Der Hunger ließ Neferet aus Emilys Vergangenheit zurückschnellen. »Ich zeige Ihnen die einzige Möglichkeit, wie Sie mir helfen können.«
Sie verschwendete keine weitere Zeit und Energie. In einer einzigen raubtierhaften Bewegung schlug sie das angebotene Jackett beiseite und stieß Charles gegen die Mauer. Er gab ein entsetztes
uhh
von sich, als ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Nach Atem ringend fiel er ins Gras. Sie gab ihm keine Zeit, sich zu erholen. Mit den Knien fesselte sie ihn an den Boden, krümmte ihre Hände zu Klauen und riss ihm die Kehle auf. Dickes, heißes Blut sprudelte aus seinem Hals, und sie schloss die Lippen um die klaffende Wunde und trank in tiefen Zügen. Nicht einmal im Sterben wehrte er sich. Er war ihrem Zauber völlig verfallen und versuchte stöhnend, die Arme um sie zu schließen. Sein Stöhnen wurde zu einem gurgelnden Pfeifen, und seine Beine zuckten krampfhaft. Und je näher er dem Tod rückte, desto stärker wurde Neferet. Sie trank und trank, saugte ihm Leib und Seele bis zur Neige leer, bis von Charles LaFont, Bürgermeister von Tulsa, nicht mehr blieb als eine leblose, ausgeblutete Hülle.
Neferet leckte sich die Lippen, stand auf und sah, von Energie durchpulst, auf die Überreste des Mannes hinunter. Wie herrlich der Tod schmeckte!
»Verflucht, Charles! Muss ich denn
alles
selber machen?« Die Stimme der Frau klang diesmal viel näher, als bewegte sie sich auf den Parkplatz zu.
Neferet hob die blutige Hand. »Nebel und Finsternis, seid mir zu Willen. Kommt hier und jetzt, um mich zu verhüllen!«
Doch die tiefsten, finstersten Schatten machten keine Anstalten, sie vor suchenden Augen zu verbergen – sie zitterten lediglich unruhig. In der Dunkelheit war ihre Antwort mehr zu spüren als zu hören:
Dir jetzt gehorchen, Tsi Sgili, aufs Neu’? Deine Macht welkt … Sind wir treu? Sind wir treu? …
Zorn war ein emotionaler Luxus, den sich Neferet nicht leisten konnte. Fest zog sie ihn um sich, statt sich Charles LaFonts zerknittertes Jackett überzuwerfen. Und so, gekleidet nur in Zorn, Blut und schwindende Macht, floh Neferet. Sie hatte den Straßengraben jenseits der Utica Street
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