Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
ihr gewachsen sein würde. Je näher das Ziel der Reise kam, desto tiefer wurde ihre Verzweiflung. Und mit den Wellen des Ozeans trieben ihre Gefühle vor ihr her, brachen sich am Strand, sickerten in den Boden ein und breiteten sich unter der Erde weiter aus.
In jener Zeit begannen die Träume. Sie träumte davon, in Macht und Größe zu erstrahlen und solche Gunst und Bewunderung zu erfahren, dass Schmerz und Leidenschaft davor belanglos wurden.
»Kein Sterblicher kann dir das Wasser reichen, denn du verdienst es, einen Gott an deiner Seite zu haben!«
, flüsterte seine unvergleichliche Stimme.
Und Neferet begann ihm zuzuhören.
Fünfzehn
Zoey
» S hit. Das sieht schlimmer aus, als ich gedacht hätte«, sagte Aphrodite.
»Oh ja.« Meine Stimme bebte ein bisschen. Meine Freunde und ich standen vor dem Glasfenster der Intensiv-Einheit unserer Krankenstation. Shaunee hatte Stark, mich, Aphrodite und Darius informiert. Auf dem Weg zur Krankenstation hatte sie uns erzählt, was Dallas getan hatte. Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu weinen, mich als starke, reife Hohepriesterin zu erweisen und ein gutes Beispiel zu geben, aber schon der erste Blick auf Stevie Rae hatte mich so erschüttert, dass ich nur noch heulen wollte. Sie hatte ihr ausgeleiertes Kenny-Chesney-Konzert-T-Shirt an, aber alles, was nicht vom T-Shirt bedeckt war – Gesicht, Arme und Beine –, war knallrot und mit entzündeten Blasen bedeckt. Margareta, die Leiterin der Krankenstation, sagte, sie sei noch nicht wieder ganz zu Bewusstsein gekommen, und das war nicht gut, weil Stevie Rae Blut trinken musste, damit die Heilung in Gang kommen konnte.
»Können die ihr keine Transfusion geben oder so?«, fragte Aphrodite.
»Das hab ich schon gefragt«, sagte Shaunee, während ich mir die Augen rieb und die Nase hochzog. Stark reichte mir ein Kleenex. »Vampyre sind nicht wie Menschen. Eine Transfusion würde nichts bringen. Wir müssen das Blut durch den Mund, die Kehle und, na ja, was danach kommt, aufnehmen, sonst nützt es uns nichts.«
»Du weißt, wie eklig das klingt«, sagte Aphrodite.
»Aphrodite, ich würde Kacke zerkauen und sie Stevie Rae in den Mund spucken, wenn ihr das helfen würde«, sagte ich.
»Das wird nicht nötig sein«, erklang Thanatos’ Stimme. Wir alle wandten uns zur Tür um. Thanatos hatte sie geöffnet, und herein trat Kalona mit Rephaim auf den Fersen, der sich im Laufen das T-Shirt über den Kopf zog. Dann sprintete er an seinem Vater vorbei zu Stevie Rae. Wir zogen uns erwartungsvoll an die Tür zurück.
Er setzte sich neben sie auf das Krankenbett. Tränen liefen ihm über die Wangen, aber seine Stimme war fest. Er klang ruhig und selbstsicher. »Stevie Rae, du musst jetzt aufwachen. Ich habe mich beeilt, so gut es ging. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber du kennst mein Problem.« Er versuchte zu lachen, aber es wurde zu einem Schluchzer. Er räusperte sich und wischte sich die Augen. »Aber gegen dein Problem mit der Sonne ist das gar nichts.« Er streckte die Hand aus, wie um ihr über die Wange zu streichen, zuckte aber vor der wunden, mit Blasen bedeckten Haut zurück. Stattdessen legte er ihr die Hand auf die Brust, genau über ihr Herz. »Hey, wach auf«, wiederholte er, während die Tränen ihm immer schneller über die Wangen rannen.
Kalona drängte sich an uns vorbei und trat neben seinen Sohn. »Bring sie dazu, von dir zu trinken, Rephaim. Du bist mit ihr verbunden, und in deinen Adern fließt die Kraft der Unsterblichen. Nur du kannst sie heilen.«
Rephaim sah ihn an. »Sie ist bewusstlos. Sie wacht nicht auf.«
»Dann zwing sie dazu, zu trinken.«
Rephaim nickte. Er hob die Hand, die er über Stevie Raes Herz gelegt hatte, und führte sich das Handgelenk an den Mund. Dann biss er hinein. Und zwar kräftig.
Ich brauchte das Blut nicht zu sehen, das aus dem Biss austrat. Ich konnte es riechen. Es roch total komisch. Einerseits stank es irgendwie, wie Schimmel oder frisch ausgehobene Erde, andererseits war da noch etwas anderes, was mich an dunkle Schokolade und Gewürze und eine kühle Brise in einer schwülen sommerlichen Mondnacht erinnerte.
»Wow, das riecht aber bizarr«, murmelte Stark.
Ich sagte nichts, weil mir gegen meinen Willen das Wasser im Mund zusammenlief. Alles, was ich tun konnte, war, neidisch zuzusehen, wie Rephaim sich vorbeugte, Stevie Raes Kopf sanft auf den Schoß nahm und ihr seine blutende Hand an die schlaffen Lippen presste.
»Trink, Stevie Rae. Du
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