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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Mutter hatte nie eine besondere Robe getragen, wenn sie ihre Magie ausübte. Nur ihre normale Kleidung, wunderschöne Sachen, die sie selbst bestickt hatte. Eigentlich hatte ich sie nur selten zaubern sehen - ich konnte mich nur an wenige Gelegenheiten erinnern. Die lebhafteste Erinnerung hatte ich natürlich an die Nacht, in der sie gestorben war und versucht hatte, uns zu beschützen. Ich fragte mich, ob sie wohl wusste, dass es ihr tatsächlich gelungen war, mich zu retten. Eines ihrer fünf Kinder war noch am Leben. Aber ... sehr stolz wäre sie sicher nicht auf mich oder glücklich, dass ich es so weit gebracht hatte. Vielleicht eines Tages. Es war wirklich schwer, so weit vorauszudenken.
      Und jetzt stand ich vor dem Spiegel in der Tür meines Kleiderschranks, betrachtete mich in meiner weißen Robe und fühlte mich ein wenig wie ein Opferlamm. »Bäääh«, sagte ich zu meinem Spiegelbild und band mein Halstuch neu.
      Es war neun Uhr abends und wir würden gleich in die Dunkelheit hinausgehen, um in einem großen Zirkel ein Schutzritual zu vollziehen. Der heutige Tag war irgendwie schrecklich gewesen - ich war nicht einmal in die Stadt gefahren, um nach meinem Projekt zu schauen. Wir blieben alle zu Hause, bewegten uns leise, sprachen nur gedämpft, lernten für uns allein und erfüllten umsichtig unsere häuslichen Pflichten. Der einzige Lichtblick des Tages war es, unter Reyns Anleitung hinter der Scheune mit meinem Mädchenschwert auf alles Mögliche einzudreschen. River blieb bis zum Abendessen in ihrem Zimmer, und als sie herauskam, bat sie uns, mit ihr einen Zirkel zu bilden.
      Reyn, dachte ich, als es leicht an meine Tür klopfte. Als ich ihm öffnete, stand er mit ernster Miene in seiner schweren topasgrünen Leinenrobe vor mir. Ich schaute automatisch nach unten und erwartete, den kleinen weißen Hund zu sehen, der ihm nie von der Seite wich.
      »Sie ist im Stall«, sagte er. »Damit sie nicht stört.«
      Ich setzte mich auf mein Bett. Vorhin hatten wir uns nicht wirklich unterhalten - es hieß nur: Verlager deinen Schwerpunkt! Benutz deine Armmuskeln, du Schwächling! Zack! Du bist tot! Das war ein Spaß gewesen.
      Ich war nicht scharf auf diesen Zirkel. Und diesmal war die Übelkeit, die mich immer nach jeder größeren Magie befiel, mein kleinstes Problem. Innocencio war bei Rivers Tante gelandet, weil er versucht hatte, mich umzubringen. Und jetzt war Rivers Tante tot und mein einstiger Freund verschwunden. Ich fühlte mich so unglaublich schuldig und alle anderen würden es mir ansehen.
      Reyn setzte sich zu mir aufs Bett und ich dachte sehnsüchtig an all die netten Dinge, die wir machen konnten und die viel lustiger wären, als Panik vor dem Zirkel zu haben. »Du hast Innocencio nicht dazu veranlasst, Louisette zu töten«, sagte er.
      »Er kannte sie doch nur wegen mir«, widersprach ich. »So darfst du nicht denken. Das bringt nichts.« Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Außerdem geht es hier nicht nur um dich, verstehst du?«
      Ich schaute auf. »Das hatte ich zunächst auch gedacht, aber jetzt ist diese Sache mit Incy passiert und -«
      »Nein, ich meinte, dass es hier nicht um dich und deine Schuldgefühle geht oder was immer du sonst fühlst«, sagte er. »Deine Gefühle spielen keine Rolle.«
      Ich spürte ganz deutlich, wie meine Unterlippe steif wurde. Reyn seufzte. »Das war blöd ausgedrückt.«
      »Wie immer«, murmelte ich.
      Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu. »Ja, ich weiß, wie sensibel du bist, Miss Taktvoll. Ich weiß gar nicht, wie du mit deinem weichen Herzen so lange überlebt hast.«
      Ich seufzte. »Du ... denkst also nicht, dass ich schuld an allem bin?«
      »Nein«, sagte er entschieden. »Genauso wenig wie Helena schuld am Untergang Trojas war.«
      Ich spielte die Überraschte. »Sag bloß, du warst dabei?« Er schlug mir aufs Knie. »Sehr witzig. Du weißt genau, dass ich nur zehn Jahre älter bin als du. Bist du jetzt endlich fertig oder willst du noch eine Weile hier sitzen bleiben und dir wichtig vorkommen?«
      »Fast fertig.« Ich glitt vom Bett und kroch darunter. Reyn hatte bereits gesehen, wo ich mein Amulett aufbewahrte, und ich hatte noch keine Zeit gehabt, mir ein neues Versteck zu suchen. Ich löste die Fußleiste, schob meine Hand ins Loch und zog das Taschentuch mit dem warmen, schweren Amulett heraus, dem Tarak-Sin des Hauses von Ulfur, dem Wolf.
      »Ich kann es kaum erwarten, Ottavio das Ding unter die

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