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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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gehen. Ashers Stimme passte sich ihrer nahtlos an und auch er zeichnete Sigils in die Luft. Die Beschwörung klang jetzt wie der an- und abschwellende Gesang eines Rabbis in einer Synagoge.
      Roberto stimmte ein. Seine Stimme war überraschend weich und tief. Einen Moment lang musste ich wieder daran denken, wie er in den Sechzigerjahren ausgesehen hatte, mit den langen lockigen Haaren, dem mickrigen Bärtchen und den Hippieklamotten. Mit einem energischen Blinzeln vertrieb ich diesen Gedanken. Als Joshua mitzusingen begann, erinnerte mich sein Gesang an Regen, der in einer schweren Wolke hängt.
      Daniel war der Nächste und interessanterweise war seine Stimme weniger markant, weniger kraftvoll.
      Als Ottavio einfiel, glühte sein Tarak-Sin im Feuerschein auf, als besäße der große rote Stein sein eigenes inneres Feuer. Wie alt dieser Tarak-Sin wohl war?
      Meine Hand fuhr unwillkürlich hoch und streifte das Amulett, das schwer und warm auf meiner Brust ruhte. Dies war seine erste echte Magie seit vierhundertfünzig Jahren. War es bereit? Wusste es, dass es gebraucht wurde? Mir kam ein beunruhigender Gedanke: Was, wenn es doch keine Tähti-Magie erschaffen konnte? Konnte ich unabsichtlich alles vernichten, was die anderen hier zu erzeugen versuchten? River vertraute mir, hatte mir mein Amulett anvertraut. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass das kein Fehler gewesen war.
      Der Gesang der sechs war wunderschön und faszinierend anzuhören und ihre Gesichter wirkten entrückt. Mit blicklosen   Augen starrten sie ins Feuer.
      Der Erste, der vortrat und in ihren Gesang einstimmte, war Daisuke. Sein klarer heller Tenor schien sich in ihre Stimmen einzuschmeicheln und sich um sie herumzuwinden. Es war kaum anders zu beschreiben - es war so ähnlich wie Fäden oder Wurzeln, die sich umeinanderwanden, ähnlich einem Seil, das erst durch viele Fäden richtig stark wird.
      Ich wartete besorgt auf »den Impuls«, auf etwas, das mir sagte: Los, Nas, jetzt bist du dran! Rachel stimmte ein, dann Charles, Amy, Solis, Anne und Jess. Reyn trat vor, dicht gefolgt von Lorenz. River schien so sicher zu sein, dass jeder von uns seinen Einsatz spüren würde, aber was, wenn nicht? Was, wenn dieser Schutzkreis mich zurückwies, weil ich von Geburt an dunkel war? Ich hielt mein Amulett umklammert und fragte mich hektisch, was ich tun sollte.
      Brynne verließ meine Seite und gesellte sich zu den anderen. Sie hatte eine wunderschöne Singstimme, tief und ein wenig rau, aber trotzdem warm und anheimelnd. Und dann war ich allein auf dem äußeren Ring des Zirkels.
      Meine größte Angst war Wirklichkeit geworden. Ich bekam keinen Ruf, in den Gesang einzustimmen. Ich war dunkel. Ich wurde abgelehnt. Mein Amulett machte mich gefährlich und böse. Ich war keine Tähti. Ich war eine Terávà.
      Ich konnte das nicht ertragen. Ich konnte nicht die Einzige sein, die z,urückblieb. Mit angehaltenem Atem, jeden Muskel zum Zerreißen angespannt, trat ich vor und mein Amulett strömte kreisförrnige Hitze aus. Ich mischte zwanghaft mit, vermutlich mit einer Beschwörung, die vollkommen falsch war. Der erste Laut, der aus meinem Mund kam, war ein trockenes Krächzen, denn meine Kehle war vor Angst und Unsicherheit wie zugeschnürt. Aber ich holte pfeifend und qualvoll Luft, schloss die Augen und versuchte, das Lied der Macht anzustimmen, das meine Mutter immer gesungen hatte.
      Meine Stimme glitt nicht an ihren Platz. Ich konnte es jetzt spüren, die Kraft und die Stimmen der anderen. Ottavios Stimme - seine Magie war wie seine Robe: dunkel, schwarz sogar, aber ein schimmerndes Schwarz, glatt und geschmeidig, durchzogen von Bedeutung und Erfahrung und gutem Willen. Sie war unerwartet schön. Rivers Faden glänzte wie flüssiges Silber, fast wie ihre Haare, eine feine starke Stimme, die Klarheit und Zielstrebigkeit ausdrückte. Joshuas Magie war rau und scharfkantig, an den Rändern ausgefranst. Reyns war sehr ähnlich, aber tief golden und vermischt mit Schmerz und Bedauern. Daniels war etwas schwächer. Annes war wundervoll, blau und ganz direkt. Nicht alle fühlten sich an, als wären sie hundertprozentig bei der Sache. Die meisten schon, aber es gab auch ein paar winzige Lücken, die jedoch kaum wahrnehmbar waren - kleine Lücken, die auftauchten und wieder verschwanden wie Wolken im Wind.
      Meine eigene Stimme stach heraus wie Dufa aus ihren Wurfgeschwistern. Bitte lass mich einstimmen, flehte ich das Universum an. Ich will

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