Entfesselt
Nase zu halten«, sagte ich und hängte es mir um den Hals. »Das gefällt mir so an dir«, erwiderte Reyn lächelnd.
***
Beim letzten großen Zirkel im Freien hatte noch Schnee gelegen. Wie würde es wohl sein, Magie zusammen mit Rivers Brüdern auszuüben, von denen ich die meisten nicht ausstehen konnte? Würde uns unsere Abneigung im Weg sein oder spielte sie keine Rolle?
Die Farbe von Ottavios Robe war eigentlich keine Überraschung. Ja, genau - schwarz natürlich. Wie die von Jess, aber aus einem schöneren schweren Stoff mit einem Jacquardmuster in Schwarz auf Schwarz. Jetzt sah ich auch zum ersten Mal den Tarak-Sin des Hauses von Genua: ein dicker Ring aus Altgold mit einem Rubin, so groß wie ein Amselei und so rot wie geronnenes Blut. Der Ring sah an Ottavios langem Finger dick und klobig aus, aber er schien ihn nicht zu stören – er trug ihn immerhin schon, seit er und seine Geschwister seine Eltern umgebracht hatten.
Mein Blick fiel auf Brynnes leuchtend rote Robe und ich streckte ihr die Hand entgegen. Sie kam lächelnd auf mich zu und stellte sich auf meine andere Seite, wobei es ihr irgendwie - vielleicht durch reine Willenskraft - gelang, sich so zu positionieren, dass sie neben Joshua landete. Seine Robe war von einem tiefen Dunkelgrün mit dunkelroter Bestickung. Sterne, Monde, Kometen und andere Himmelskörper verteilten sich über den grünen Stoff und schimmerten im Schein des Feuers. Eine Hand auf der Schulter brachte mich dazu, mich umzudrehen. Es war River, der die Trauer ins Gesicht geschrieben stand. Sie warf einen Blick auf mein Amulett, das unter meinem Brustbein hing und dort Wärme ausstrahlte.
»Hat Ottavio es schon gesehen?«, flüsterte sie.
Ich schüttelte den Kopf und einen kurzen Augenblick lang war auf ihrem Gesicht der Hauch eines Lächelns zu sehen. »Willkommen, Freunde und Familie«, sagte sie und sah einen nach dem anderen an. »Wie ihr wisst, scheint es ratsam zu sein, einen wirksameren Schutzkreis um uns zu ziehen. Asher, meine Brüder und ich haben eine mehrschichtige Beschwörung geschaffen, die uns den stärksten Schutz geben wird, den wir kennen. Wir sollten unseren Geschäften nachgehen, unser tägliches Leben leben und sogar reisen können, ohne fürchten zu müssen, dass der Schutz nachlässt.«
Die Aufregung flackerte in mir auf wie winzige Glühwürmchen - ich fühlte mich hellwach und zu allem bereit.
»Die Form dieser Beschwörung ist anders als sonst«, erklärte River. »Ich werde beginnen, dann fügen Asher und meine Brüder ihren Teil dazu und dann könnt ihr einer nach dem anderen einstimmen, bis wir schließlich einen undurchdringlichen Zirkel der Macht und des Schutzes gewoben haben. Hat noch jemand eine Frage dazu?«
»Wie sollen wir wissen, wann wir einstimmen sollen?«, fragte Rachel.
»Jeder kann sein Lied singen, wenn er sich dazu bereit fühlt«, erklärte River. »Ich denke, ihr werdet merken, wenn es so weit ist. Macht euch keine Sorgen, wenn die Zeit vergeht und ihr den Impuls nicht spürt - ich weiß, dass er zu jedem von euch kommen wird.«
»Okay«, sagte Rachel. Obwohl sie seit Jahren immer wieder herkam, hatte sie so etwas wie das hier noch nie mitgemacht. Ich befahl mir, gut aufzupassen, denn dieser Zirkel war groß und bedeutsam und ich wollte alles lernen, wollte ein Teil davon sein.
Ich straffte die Schultern, starrte ins Feuer, atmete langsam ein und aus. Dann versuchte ich, jeden Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen, was ungefähr so schwierig war, als müsste ich lauter quirlige Aale mit der Hand aus dem Wasser fischen. Einatmen, ausatmen. Stärke einatmen; Angst, Zögerlichkeit, Besorgnis und Ungeduld ausatmen.
River begann zu singen, allerdings so leise, dass ich es kaum hörte. Ich atmete weiter tief ein und aus, richtete meinen Blick nur auf sie und meine Arme spürten die leichte Wärme von Brynne und Reyn neben mir.
Kurz darauf fing River an, Sigils in die Luft zu zeichnen, uralte Symbole der Magie und Macht. Die meisten davon kannte ich nicht. Die Runen Eolh für Schutz und Thorn für das Überwinden von Widerständen wurden mehrmals wiederholt. Ur stand für Kraft, Peorth ließ einen verborgene Dinge finden. In der Bibliothek meines Vaters hatte es Bücher in Runenschrift gegeben; als ich klein war, hatten meine Schwester Eydis und ich unsere Namen unter Verwendung des Runenalphabets ins Fundament unserer Burg gekratzt.
River begann, im Uhrzeigersinn ums Feuer zu
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