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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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jungen, jüdischen Studenten, drohte. Bénamou hatte keine Hemmungen und wusste, wie man sich Respekt verschafft. Da er mit der dominikanischen Gang, die es auf Dov abgesehen hatte, Geschäfte zu machen pflegte, hatte er ihnen den Juden gewissermaßen »abgekauft«. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Dov nichts über die Sephardim gewusst. Er war der Meinung, dass alle Juden wie seine Großeltern aus Polen, Litauen oder höchstens noch Weißrussland stammten. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, dass es auch marokkanische Juden gab. Albert hatte nichts für seinen Schutz verlangt, sondern Dov lediglich um den Gefallen gebeten, mit ihm an den Talmud-Torah-Kursen teilzunehmen, die an jedem zweiten Sonntag von Rabbi Toledano in der Gefängnisbibliothek abgehalten wurden. Auf diese Weise erlebte Dov die teschuwa; die Umkehr kam also eher aus Langeweile denn aus Überzeugung. Und auch ein wenig aus Verdruss, denn seine Familie hatte sich ausgesprochen distanziert verhalten. Natürlich hatte er sie enttäuscht, und natürlich lag Wichita Tausende Meilen von Boston entfernt. Aber der Kontrast zwischen der menschlichen Wärme von Rabbi Toledano und den kühlen Briefen, die den Päckchen seiner Eltern beilagen, war frappierend. Seine Eltern hatten ihn nur ein einziges Mal in achtzehn Monaten besucht. Bei seiner Entlassung zog Dov einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit und seine Familie und wandte sich ganz und gar dem Rabbi zu, der ihm eine Wohnung in der Nähe von Crown Heights besorgte, ihn in seine Talmudhochschule aufnahm und seine Dreadlocks und seine grün-gelb-roten T-Shirts tolerierte, unter der Bedingung, dass er ein weißes Hemd darüberzog, einen schwarzen Hut trug und die Zizijot heraushängen ließ.
    In der Zeit ihrer Bekanntschaft mit Dov hat Susan gelernt, Joints zu bauen. Und genau das tut sie, während er einen Bunsenbrenner repariert. Zufrieden betrachtet sie ihr Werk, zündet es an, inhaliert tief, hält den Atem an, atmet aus. Nach einem weiteren tiefen Zug reicht sie die Tüte an Dov weiter. Ihre Stimme klingt leicht verändert, ihre Augen glänzen.
    »Ich möchte dir eine seltsame Frage stellen: Warum hast du mich eigentlich nie angebaggert?«
    Dov inhaliert tief und lässt schweigend eine Minute verstreichen, ehe er antwortet:
    »Und du?«
    »Ich? Oh, das ist ganz einfach. Ich schlafe ausschließlich mit Männern, die ich nicht liebe. Wenn ich genug von ihnen habe, kann ich sie ganz einfach loswerden und vergessen. Bei dir weiß ich nicht genau – zuerst hat mir dein Äußeres nicht besonders gefallen, aber ich mochte dich von Anfang an sehr gern und wollte, dass du einen Platz in meinem Leben bekommst. Damit es nicht nur James gibt.«
    Mit einem Mal wirkt Susan wie ein ganz kleines Mädchen. Sie wird rot und sagt mit Piepsstimme:
    »Und jetzt du.«
    »Zuerst habe ich mich gefragt, woher dein Interesse für mich kommt. Wenn du sexuelle Gründe gehabt hättest, dann hättest du es mich wissen lassen – immerhin warst du diejenige, die die Initiative ergriffen hat. Später habe ich dann nicht mehr darüber nachgedacht. Irgendwie war der Moment vorbei. Dann haben wir angefangen, zusammen zu rauchen, und das – also das hat mir wirklich gefehlt.«
    »Aber hast du denn keine Freundin? Hast du überhaupt je eine Freundin gehabt?«
    »Du willst wissen, ob ich noch Jungfrau bin? Oder vielleicht schwul? Nein, ich hatte noch nie eine Freundin und ich habe auch noch nie mit einem Mann geschlafen. Ich glaube, solche Dinge sind mir nicht sonderlich wichtig. Jedenfalls erheblich unwichtiger als Dope, die Chemie und Bob Marley. Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll.«
    »Oh, ich verstehe. Ich verstehe sogar sehr gut. Ich wollte nicht … Also, ich weiß nicht, ich wollte es einfach wissen … Keine Ahnung, warum.«
    »Der Rabbi hat eine Frau für mich gefunden.«
    »Eine Frau?«
    »Ja, eine Französin. Die Tochter eines Gemeindemitglieds seines Cousins, der Rabbi in Paris ist. Eine wohlerzogene, junge Frau. Stell dir mal vor: Ich, Dov aus Wichita, mit einer Jüdin aus Paris!«
    »Eine Pariserin! Das ist wirklich schick! Aber wollt ihr wirklich heiraten, ohne euch zu kennen?«
    »Ja, so ist es bei ihnen nun mal üblich. Und ich gehöre jetzt dazu. Weißt du, Rabbi Toledano – ich meine natürlich unseren Rebbe, aber an die Bezeichnung muss ich mich noch gewöhnen, er ist ja erst vor knapp drei Monaten zum Rebbe ernannt worden – also der Rebbe hat keinen Sohn, und alle seine Töchter sind schon

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