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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Stelldichein gab.
    Wie zur Bestätigung meiner Befürchtung bog ein krummbeiniger untersetzter Chinese mit einem Bauchladen voll zweifelhafter Waren um die Ecke. Der Ärmste hatte offenbar gedacht, hier viel mehr Spaziergänger vorzufinden, aber bei dem Wetter hatte er kein Glück.
    Als der kleine Großfürst den leibhaftigen Chinesen erblickte, riß er sich von der Hand seiner Schwester los und sauste zu dem schlitzäugigen Knirps.
    »Das da will ich!« schrie er.
    Und er zeigte mit dem Finger auf ein giftig-rosa Fruchtbonbon in Form einer Pagode.
    »Ne montrez pas du doigt!« 4 rief Mademoiselle.
    Großfürstin Xenia war ihrem Bruder nachgelaufen, nahm ihn wieder bei der Hand und fragte: »A quoi bon tu veux ce truc?« 5
    »Je veux, c’est tout!« 6
    Seine Hoheit reckte das Kinn vor und bekundete einen für sein Alter erstaunlichen Eigensinn, und Eigensinn ist ein vorzügliches Fundament für die Entwicklung des Charakters.
    »Ach, Afanassi, kauf ’s ihm«, wandte sich die Großfürstin an mich. »Sonst gibt er keine Ruhe. Er wird einmal an dem Ding lecken und es wegwerfen.«
    Die Großfürstin verfügte nicht über eigenes Geld, ich glaube, sie wußte nicht einmal, wie es aussieht, wozu auch.
    Ich blickte Mademoiselle an, denn entscheiden mußte sie. Sie krauste die Nase und zuckte die Achseln.
    Der Chinese, das muß ich ihm lassen, versuchte nicht, uns seine abscheuliche Ware aufzudrängen, er starrte lediglich ausseinen Schlitzen Ihre Hoheit an. Man sieht mitunter ausgesprochen schöne Chinesen – mit schmalem Gesicht, heller Haut und anmutigen Bewegungen, aber dieser war ein richtiges Scheusal. Plattes Gesicht, rund wie eine Plinse, kurze Igelborsten auf dem Kopf.
    »He, was kostet das da?« Ich zeigte auf die Pagode und zog das Portemonnaie hervor.
    »Ein Rub«, antwortete der dreiste Asiat, der wohl an meinem Gesicht sah, daß ich mit ihm nicht feilschen würde.
    Ich gab dem Gauner den Rubel, obwohl das Zuckerwerk höchstens fünf Kopeken wert war, und wir gingen weiter. Seine Hoheit schien Geschmack an der simplen Leckerei zu finden, er warf sie nicht weg.
    Am fernen Ende der Seitenallee war die Umfriedung der Eremitage zu sehen, und wir schlugen diese Richtung ein. Wir hatten noch reichlich zweihundert Meter zu gehen.
    Auf einem Zweig krächzte eine Krähe laut und unbekümmert, und ich hob den Kopf. Einen Vogel sah ich nicht, nur einen Fetzen grauen Himmel im dunklen Blattwerk.
    Ich würde wohl alles darum geben, könnte ich diesen Moment anhalten, denn er teilte mein Dasein in zwei Hälften: Alles Vernünftige, Voraussagbare, Geordnete blieb im früheren Leben zurück, das neue aber war Wahnsinn, Alptraum und Chaos.
     
    Hinter mir erklangen Schritte, die sich rasch näherten. Verwundert drehte ich mich um und bekam im nächsten Moment einen Schlag von ungeheuerlicher Kraft auf den Kopf. Ich sah noch das schreckliche, wutverzerrte Gesicht des bärtigen Mannes von vorhin, dann stürzte ich und verlor für eine Sekunde das Bewußtsein. Ich sage »für eine Sekunde«, dennals ich den schweren, wie mit Blei gefüllten Kopf vom Boden hochriß, war der Bärtige erst ein paar Schritte entfernt. Er schleuderte den Großfürsten beiseite, packte Ihre Hoheit am Arm und zerrte sie zurück, in meine Richtung. Mademoiselle stand stocksteif, auch ich war wie betäubt. Ich faßte an die schmerzende Stirn und fühlte etwas Nasses – Blut. Ich weiß nicht, womit er zugeschlagen hatte, mit einem Schlagring oder einem Totschläger, jedenfalls wogten Bäume und Büsche auf und ab wie Meereswellen bei Sturm.
    Der Bärtige stieß einen Räuberpfiff aus, und aus der Allee, aus der wir eben erst gekommen waren, rollte eine schwarze Kutsche heran, bespannt mit zwei Rappen. Der Kutscher, in einem langen schwarzen Regenmantel, rief »Brrr« und zog die Zügel an, und noch ehe das Gefährt hielt, sprangen zwei Männer heraus, ebenfalls in Schwarz, und liefen auf uns zu.
    Das ist eine Entführung, sprach in mir eine ruhige, leise Stimme, und die Bäume hörten plötzlich auf zu wogen. Ich erhob mich auf alle Vier, rief Mademoiselle zu: »Emportez le grand-duc!« 7 und umklammerte das Knie des Bärtigen, der gerade an mir vorbei wollte.
    Er ließ den Arm Ihrer Hoheit nicht los, so daß wir alle drei zu Boden fielen. An Kraft fehlte es mir von Natur aus nicht, alle in unserem Geschlecht waren kräftig, und ich war in meiner Jugend Eilbote bei Hofe gewesen, was auch die Muskulatur stärkte, darum konnte ich mühelos die Hand des

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