Entführung des Großfürsten
Franzosen. Er war an den heißesten Kriegsschauplätzen und meldete sich zu jedem waghalsigenEinsatz als Freiwilliger. Er wurde mehrfach verwundet, mit Medaillen ausgezeichnet und verdiente sich die Litzen des Unteroffiziers, aber das war ihm alles zu wenig. Und 1812, als im Kampf bei Smolensk alle Kommandeure seiner Kompanie gefallen waren, bekam er seine schönste Auszeichnung: Der Infanteriegeneral Fürst Bagration persönlich küßte ihn und erhob ihn in den Offiziersrang, was dazumal so gut wie nie geschah.
Danach kämpfte Jemeljan Sjukin noch zwei Jahre und kam mit der Armee bis Paris, aber nach dem Friedensabschluß ersuchte er sofort um einen langen Urlaub, obwohl er bei seinen Vorgesetzten hoch angesehen war und auf weitere Beförderung hoffen konnte. Doch mein Urgroßvater wollte etwas anderes – sein aussichtslos kühner Plan näherte sich endlich der Erfüllung.
In die Heimat kehrte er nicht nur als geadelter Grenadieroberleutnant zurück, sondern auch mit einem kleinen Kapital, denn er hatte seinen Sold in all den Jahren nicht verbraucht und bei der Entlassung in den Urlaub auch noch Prämien- und Genesungsgeld erhalten, zudem hatten sich die ursprünglichen siebenhundert Rubel dank der Zinsen fast verdoppelt.
Auch in seinem Heimatdorf hatte sich alles günstig gefügt. Den Gutshof hatten die Franzosen niedergebrannt, und die Herrschaft lebte völlig verarmt im Haus des Popen. Der junge Herr, ehemals Jemeljans Spielgefährte, hatte bei Borodino sein Leben gelassen, und die Tochter des Gutsbesitzers, deretwegen mein Urgroßvater sein verwegenes Spiel mit dem Schicksal trieb, hatte ihren Bräutigam verloren – er war bei Leipzig gefallen. So erschien Jemeljan beinahe als rettender Engel vor dem Objekt seiner Träume.
Er suchte sie im Holzhaus des Popen auf, in Paradeuniform, mit Kreuzen geschmückt. Sie trug ein altes geflicktes Kleid, und die erlittenen Prüfungen hatten ihrer Schönheit Abbruch getan, so daß er sie nicht gleich erkannte. Aber das war ihm einerlei, denn er liebte nicht sie, sondern seinen unmöglichen Traum.
Doch es war alles vergebens. Sie begrüßte ihn anfangs freundlich, freute sich sogar, den alten Bekannten wiederzusehen, doch seinen Heiratsantrag beantwortete sie mit kränkender Verwunderung und sagte sogar, lieber wolle sie als Kostgängerin bei ihren Verwandten leben, als »Frau Sjukina« werden.
Nach diesen Worten trübte sich Jemeljans Verstand. Er, der nie zuvor berauschende Getränke zu sich genommen hatte, bezechte sich derartig, daß es ein böses Ende nahm. Volltrunken riß er sich vor allen Leuten die Epauletten und Kreuze herunter, trampelte auf ihnen herum und schrie zusammenhangloses Zeug. Wegen unehrenhaften Verhaltens wurden ihm der Offiziersrang und der Adelsstand aberkannt. Er hätte sich völlig dem Trunk ergeben, wenn ihm nicht durch einen glücklichen Zufall sein ehemaliger Regimentskommandeur Fürst Drubezkoi begegnet wäre. Der hatte Mitleid mit dem heruntergekommenen Mann und brachte ihn eingedenk seiner früheren Verdienste als Kammerlakai am Zarenhof unter.
Damit war das Schicksal unseres Geschlechts entschieden.
Wenn eine Person niederer Herkunft unzulässige Träume hinsichtlich einer höherrangigen Person hegt, ist das betrüblich, vielleicht gar empörend, aber nicht weiter gefährlich, denn, wie es so schön heißt, einer stößigen Kuh gibt Gott keine Hörner. Doch eine Neigung in umgekehrter Richtung,die nicht von unten nach oben zielt, sondern von oben nach unten, birgt ernste Komplikationen. Allgemein erinnerlich ist noch der Vorfall mit dem Großfürsten Dmitri Nikolajewitsch, der gegen den Willen des Zaren eine geschiedene Dame heiratete und darum außer Landes verbannt wurde. Wir Hofdiener wissen auch, wie der jetzige Herrscher, damals noch Zarewitsch, seinen kaiserlichen Vater unter Tränen anflehte, ihn von der Thronfolge zu entbinden und ihm eine morganatische Ehe mit der Ballerina Sneshnewskaja zu erlauben. Alle hatten gezittert, aber Gott der Herr und die Strenge des seligen Zaren hatten das Schlimmste verhütet.
Darum ist die Erregung, die mich nach dem geschilderten Tennismatch ergriff, durchaus verständlich, zumal Großfürstin Xenia bereits einen Bräutigam hatte, einen skandinavischen Prinzen mit guten Aussichten auf die Königskrone (alle wußten, daß sein älterer Bruder, der Thronfolger, an Schwindsucht litt).
Ich mußte mich dringend mit jemandem beraten, der sich in der Seelenstruktur junger Mädchen auskannte,
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