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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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war.
    Großfürstin Xenia bog sich graziös und schlug den Ball so stark, daß Fandorin kaum gegenhalten konnte. Der Ball flog schräg zurück, berührte den oberen Rand des Netzes, zögerte ein wenig, in welche Richtung er fallen sollte, und landete schließlich auf der Seite Ihrer Hoheit.
    Null zu fünfzehn für Fandorin. Er hatte Glück gehabt.
    Ihre Hoheit wechselte auf die andere Hälfte des Spielfelds, schnitt den Ball beim Aufschlag an und lief rasch ans Netz, denn sie wußte im voraus, wohin der Gegner den Ball zurückschlagen würde, falls er dazu überhaupt in der Lage war.
    Fandorin schlug den Ball zurück, und zwar so kräftig, daß er bestimmt über die Grenzlinie hinausgeflogen wäre, wenn er nicht die Stirn Ihrer Hoheit getroffen hätte.
    Großfürstin Xenia wirkte etwas benommen, Fandorin erschrocken. Er stürzte zum Netz und drückte Ihrer Hoheit ein Taschentuch an die Stirn.
    »Es ist nichts«, hauchte sie und hielt Fandorin am Handgelenk fest. »Es tut gar nicht weh. Und Sie sind ein richtiger Glückspilz. Null zu dreißig. Aber gleich zeig ich’s Ihnen.«
    Der dritte Aufschlag war einer von denen, die unmöglich zu parieren sind. Ich sah keinen Ball, sondern nur einen Blitz, der über den Platz raste. Fandorin erwischte ihn dennoch mit dem Schläger, aber sehr unglücklich: Der weiße Ball flog hoch und fiel direkt aufs Netz.
    Großfürstin Xenia lief mit einem triumphierenden Ruf nach vorn, bereit, den leichten Ball zurückzuschmettern. Sie holte aus und schlug zu, der Ball berührte wieder die Netzkante, fiel dann aber nicht auf der Seite des Gegners nieder, sondern rollte ihr vor die Füße.
    Auf ihrem Gesicht malte sich Verwirrung – ein merkwürdiges Spiel. Wahrscheinlich war die Verwirrung auch schulddaran, daß Ihre Hoheit beim letzten Aufschlag zweimal patzte, was ihr noch nie passiert war, und so hatte sie das Spiel rundweg verloren, oder, wie die Sportler sagen »vergeigt«.
    Den ersten Anfall von Haß auf Fandorin empfand ich, als sein Kammerdiener seelenruhig den üppigen Gewinn in sein buntes Portemonnaie steckte. An den Gedanken, auf so absurde Weise fünfzig Rubel eingebüßt zu haben, mußte ich mich erst gewöhnen.
    Noch mehr mißfiel mir die Szene, die sich auf dem Platz abspielte.
    Wie es der Verliererin zukam, kroch Ihre Hoheit unter dem Netz hindurch. Fandorin beugte sich hastig herab, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein, sie blickte aus der Hocke zu ihm auf und verharrte in dieser unmöglichen Haltung. Er faßte sie verlegen bei den Händen und zog sie hoch, aber so ungestüm, daß sie gegen seine Brust prallte und ihr der Hut mitsamt den Haarspangen vom Kopf flog, so daß ihre dichten Locken bis auf die Schulter fielen.
    »Ich bitte um Vergebung«, murmelte Fandorin. »Danke für den Unterricht. Für mich wird es Zeit.«
    Nach einer ungelenken Verbeugung schritt er rasch dem Haus zu. Der Japaner trippelte hinterdrein.
    »Lucky devil«, sagte Mr. Freyby.
    Ich schlug im Wörterbuch nach: Glück-li-cher Teu-fel.
    Er zählte mit sichtlichem Bedauern das im Portemonnaie verbliebene Geld.
    Ich jedoch dachte nicht mehr an den Verlust. Mein Herz krampfte sich in Sorge und einer bösen Vorahnung zusammen.
    Ach, mit was für einem Blick die Großfürstin dem davongehenden Fandorin nachblickte! Er jedoch, dieser Filou, ging,als wäre nichts gewesen, und drehte sich erst im letzten Moment um, bevor er um die Ecke bog. Ein kurzer Blick zur Großfürstin hin, und weg war er. Eine miese Masche, die zweifellos ihre Wirkung auf ein junges unerfahrenes Mädchen nicht verfehlte!
    Die Großfürstin war nach diesem Blitzblick von Röte übergossen, und ich begriff: Es war etwas Ungeheuerliches, Skandalöses geschehen, etwas von der Art, das die Festen der Monarchie erschüttern kann. Eine Person kaiserlichen Geblüts hatte sich in einen Unwürdigen verliebt. Das stand außer Zweifel, obwohl ich mich nicht als Kenner der Frauen und ihrer Gefühle betrachten kann.
    Afanassi Sjukin ist ein alter Hagestolz und wird es wohl auch bleiben. Mit mir wird unsere ehrbare Sjukin-Dynastie zu Ende gehen. Ich habe zwar einen Bruder, aber er hat mit unserer Tradition gebrochen.
     
    Mein Vater Stepan Filimonowitsch und vor ihm sein Vater Filimon Jemeljanowitsch waren im Alter von siebzehn Jahren mit Mädchen aus ebensolchen Dienerfamilien verheiratet worden, und als sie achtzehn waren, hatte jeder von ihnen schon einen Sohn. Beide lebten mit ihren Gattinnen, was Gott jedem schenken möge, in Achtung und

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