Entführung des Großfürsten
Liebe. Aber bei mir ist der Glücksstern unseres Geschlechts ins Stolpern geraten. Die Sjukins sind degeneriert, denn ich hab eine träge Seele mitbekommen, die unfähig zur Liebe ist.
Liebe zum weiblichen Geschlecht ist mir versagt geblieben. Anbetung, das ist etwas anderes – dieses Gefühl habe ich schon als Halbwüchsiger erfahren, und es war so stark, daß ich danach keine Kraft mehr für eine gewöhnliche Liebe hatte.
Mit vierzehn Jahren diente ich in einem großfürstlichen Haus, dessen Namen ich nicht nenne, da es zu bekannt ist. Eine der Großfürstinnen, deren Namen ich auch nicht nenne, war so alt wie ich, und es war meine Aufgabe, sie in Kosakentracht auf Ausritten zu begleiten. In meinem weiteren Leben habe ich kein Fräulein und keine Dame getroffen, die sich auch nur entfernt mit Ihrer Hoheit hätte messen können – dabei rede ich nicht von Schönheit, obwohl die Großfürstin unbeschreiblich schön war, nein, von einem besonderen Strahlen, das ihr Antlitz und ihre ganze Gestalt aussandte. Ich vermag es nicht besser zu erklären, aber ich sah dieses Strahlen ganz deutlich, so wie andere Menschen Mondstrahlen oder Lampenlicht sehen.
Ich kann mich nicht erinnern, Ihre Hoheit auch nur einmal angesprochen oder eine Frage an sie gerichtet zu haben. Ich stürzte nur schweigend los, wenn sie mir etwas zu befehlen geruhte. Mein Leben damals bestand aus Tagen, die es gab, und Tagen, die es nicht gab. Ich sah sie, und es gab den Tag; ich sah sie nicht, und der Tag existierte nicht, nur Finsternis.
Sie mußte denken, ich wäre stumm, und ob sie mich nun bedauerte oder nur an mich gewöhnt war, jedenfalls sah sie mich manchmal mit so zärtlichem Lächeln an, daß ich mich nicht mehr rühren konnte. Einmal geschah dies während eines Ritts durch den Wald. Ihre Hoheit drehte sich zu mir um und lächelte mich so holdselig an, daß ich vor Glück die Zügel losließ. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Erde und sah über mir ihr helles Gesicht, in ihren Augen schimmerten Tränen. Ich denke, das war der glücklichste Moment in meinem Leben.
Ich diente an diesem Hof zwei Jahre, sieben Monate undvier Tage, dann wurde die Großfürstin einem deutschen Prinzen vermählt, und sie folgte ihm in sein Land. Das geschah nicht von heute auf morgen, in einem großfürstlichen Haus werden die Hochzeiten lange vorbereitet, und ich hatte nur den einen Traum – zu den Dienern zu gehören, die Ihre Hoheit nach Deutschland begleiteten. Dort war die Stelle eines Junglakaien frei.
Daraus wurde nichts. Mein Vater, ein kluger Mann, erlaubte es nicht.
So sah ich Ihre Hoheit niemals wieder. Doch zu Weihnachten desselben Jahres erhielt ich von ihr einen eigenhändig geschriebenen Brief. Ich bewahre ihn bis zum heutigen Tag zusammen mit den Trauringen meiner Eltern und dem Sparbuch auf, aber ich lese ihn nicht, ich weiß ihn auswendig. Es ist nicht einmal ein richtiger Brief, eher ein kurzer Gruß, den Ihre Hoheit an alle ihre ehemaligen Diener schickte.
»Lieber Afanassi
(so beginnt das Schreiben)
, mir geht es gut, und bald wird etwas Kleines kommen, ein Sohn oder eine Tochter. Ich erinnere mich oft an unsere Ausritte. Weißt du noch, wie du gestürzt bist, und ich dachte, du wärst tot? Neulich habe ich von dir geträumt, und da warst du kein Diener, sondern ein Prinz und hast mir etwas sehr Schönes und Angenehmes gesagt, aber ich habe mir nicht gemerkt, was. Alles Gute, Afanassi, und denke manchmal an mich.«
Weitere Briefe habe ich nicht erhalten, denn bei der Geburt ihres ersten Kindes verstarb Ihre Hoheit, und nun ist sie schon fast dreißig Jahre im Reich der Engel, wo zweifellos eher ihr Platz ist als auf unserer sündigen Erde.
Mein Vater hatte vollkommen recht, aber ich konnte ihmlange, bis zu seinem Tode, nicht verzeihen, daß er mich nicht nach Deutschland gehen ließ. Bald nach der Abreise der Großfürstin wurde ich siebzehn, und meine Eltern wollten mich mit der Tochter des Oberpförtners aus dem Anitschkow-Palais verheiraten. Das Mädchen war hübsch, aber ich wollte partout nicht. Trotz meines ausgeglichenen und nachgiebigen Charakters überkommt mich manchmal solch ein Starrsinn. Mein Vater mühte sich eine Weile mit mir ab und ließ mich schließlich in Ruhe. Er dachte, ich würde mit der Zeit schon Vernunft annehmen. Vernunft nahm ich an, aber Lust auf ein Familienleben bekam ich nicht.
Für einen richtigen Haushofmeister ist das auch besser – nichts lenkt ihn vom Dienst ab. Foma
Weitere Kostenlose Bücher