Entführung des Großfürsten
denn ich selbst kann mich, wie schon gesagt, in dieser Materie nicht als Kenner betrachten.
Nach einigem Zaudern beschloß ich, Mademoiselle Déclic ins Vertrauen zu ziehen, und deutete ihr meine Befürchtungen in ganz allgemeinen und delikaten Worten an. Dennoch verstand sie mich sehr wohl und war – was mich befremdete – nicht im geringsten verwundert. Mehr noch, sie reagierte auf meine Äußerungen mit verblüffendem Leichtsinn.
»Ja, ja«, sagte sie und nickte zerstreut. »Das isch abe auch bemerkt. Er ist ein schöne Mann, und sie at das rischtige Alter. Ist nischt schlimm. Soll Xenia noch ein bißchen Liebe aben, bevor sie kommt unter die Glasglocke.«
»Wie können Sie so etwas sagen!« rief ich entsetzt. »Ihre Hoheit ist verlobt!«
»Ach, Monsieur Sjukin, isch abe ihre Bräutigam Prinz Olaf in Wien geseen.« Sie krauste die Nase. »Sie aben mir einen Ausdruck beigebracht … Olaf ist ein Einfaltspinsel, ja?«
»Aber im Falle des Ablebens seines älteren Bruders – alle wissen, daß er die Schwindsucht hat – steht der Prinz an erster Stelle in der Thronfolge. Das bedeutet, Großfürstin Xenia kann Königin werden!«
Die unziemliche Bemerkung der Gouvernante war natürlich ihrer desolaten Verfassung zuzuschreiben. Ich hatte gesehen, daß Mademoiselle am Morgen das Haus verließ, und ich erriet, warum. Zweifellos konnte sie bei ihrem energischen und zupackenden Charakter nicht tatenlos dasitzen und war sicherlich auf eigene Faust auf die Suche gegangen. Aber was konnte sie allein ausrichten in einem fremden Land, in einer unbekannten Stadt, wenn sich sogar die Polizei hilflos fühlte?
Mademoiselle war so müde und traurig zurückgekehrt, daß es mir weh tat, sie anzusehen. Und so hatte ich auch aus dem Wunsch, sie von der Sorge um den kleinen Großfürsten abzulenken, das Gespräch auf dieses mich bewegende Thema gebracht.
Um sie etwas zu beruhigen, erzählte ich ihr, wie die Dinge standen, und erwähnte (natürlich ohne mich herauszustreichen) die verantwortungsvolle Mission, die mir zugefallen war.
Ich hatte erwartet, daß sich Mademoiselle über diesen Hoffnungsschimmer freuen würde, aber als sie mich bis zu Ende angehört hatte, blickte sie mich erschrocken an und sagte: »Aber das ist doch sehr gefährlisch«, und fügte, die Augen senkend, hinzu: »Isch weiß, Sie sind mutig … Aber sind Sie nicht zu mutig, abgemacht?«
Ich war verwirrt, und es trat eine etwas peinliche Pause ein.
»Ach, was für ein Malheur«, sagte ich schließlich. »Es regnet schon wieder. Am Abend steht doch zu Ehren der kaiserlichen Majestäten eine Serenade auf dem Programm, und der Regen könnte alles verderben.«
»Denken Sie lieber an sisch. Sie müssen in einer offenen Equipage fahren«, erwiderte Mademoiselle leise und völlig fehlerfrei. »Wie leicht kann man sisch da erkälten.«
Als ich in einem zweirädrigen Wagen mit zurückgeschlagenem Verdeck aus dem Tor fuhr, regnete es schon kräftig, und ich war durchgeweicht, bevor ich den Kalugaer Platz erreichte. Das war halb so schlimm, doch in dem Strom der Equipagen auf dem Korowi-Wall war ich der einzige Furchtlose in einem offenen Gefährt, was bestimmt recht merkwürdig aussah. Da saß ein solider Mann mit ansehnlichem Bart auf dem Bock und zog nicht einmal das Spritzleder über die Knie, vom Rand seiner Melone troff das Wasser, sein Gesicht war naß, der gute Tweedanzug hing wie ein nasser Sack an ihm. Aber wie sollten mich denn Linds Leute sonst erkennen?
Zu meinen Füßen stand ein schwerer Koffer, vollgestopft mit Fünfundzwanzigrubelscheinen. Vor und hinter mir fuhren, Distanz wahrend, Agenten von Oberst Karnowitsch. Ich befand mich in einem Zustand eigenartiger Ruhe, spürte weder Angst noch Erregung – wahrscheinlich waren die Nerven vom Warten und der Nässe abgestumpft.
Zurückzublicken wagte ich nicht, denn das war mir in der Instruktion strengstens untersagt worden, doch ich sah hin und wieder nach links und rechts und betrachtete die spärlichen Passanten. Eine halbe Stunde vor der Abfahrt hattemich Foma Anikejewitsch angerufen und gesagt: »Herr Lassowski hat beschlossen, eigene Maßnahmen zu treffen – ich hörte, wie er Seiner Hoheit Bericht erstattete. Er hat vom Kalugaer Platz bis zur Moskwa Geheimpolizisten postiert, in einem Abstand von fünfzig Schritt. Und er hat ihnen befohlen, jeden zu ergreifen, der sich Ihrer Equipage nähert. Ich fürchte, das könnte den Großfürsten Michail in Gefahr bringen.«
Die Geheimen erkannte
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