Entführung des Großfürsten
Anikejewitsch ist auch nicht verheiratet. Und der legendäre Prokop Swiridowitsch hat zwar Frau und Kinder gehabt, aber die ließ er im Dorf und besuchte sie nur zweimal im Jahr – zu Weihnachten und zu Ostern.
Ein richtiger Haushofmeister weiß, daß sein Dienst kein Amt ist, sondern eine Lebensform. Unmöglich, daß man vom Morgen bis zum Abend Haushofmeister ist und dann heimgeht und einfach Afanassi Sjukin wird. Der Haushofmeisterstand ist mit dem Adelsstand vergleichbar, nur daß bei uns mehr Strenge herrscht, darum ist auch unser Wert größer.
Manch ein Hochmögender würde gern einen Haushofmeister, der am Zarenhof oder bei einem Großenfürsten dient, zu sich herüberlocken, und es werden mitunter große Summen geboten. Denn es schmeichelt jedem Reichen, wenn es in seinen Gemächern so zugeht wie in kaiserlichen Palästen. Mein Bruder Frol hat sich von dem Geld verleiten lassen. Jetzt dient er als Haushofmeister – nein, das heißt dort Majordomus – bei einem Moskauer Millionär, dem BankierLitwinow, einem Juden. Frol hat fünftausend für seine Ausstattung erhalten und bezieht bei freier Kost und Logis dreitausend im Jahr. Doch ein Haushofmeister ist er nicht mehr.
Ich habe alle Beziehungen zu meinem Bruder abgebrochen. Er läßt auch nichts von sich hören – er hat seinen Fehler eingesehen. Was ist schon ein Millionär? Ich bin nicht einmal zu dem erlauchten Fürsten Boronzow gegangen, obwohl er mir das Blaue vom Himmel versprochen hat. Dienen kann man nur einem Menschen, mit dem man sich nicht vergleichen kann. Eine Distanz muß sein. Denn hier ist das Menschliche und dort das Göttliche. Die Distanz hilft, die Achtung zu bewahren. Auch wenn ich zum Beispiel den Großfürsten Georgi in der Kammer der Gesindeköchin Manefa ertappe oder wenn nachts der sturzbetrunkene Großfürst Pawel, von oben bis unten, pardon, vollgekotzt, in der Droschke nach Hause gebracht wird. Was den erlauchten Fürsten Boronzow angeht, so ist er einfach ein Adliger, nichts weiter. Auch wir Sjukins waren Adlige, wenngleich nicht für lange.
Das ist eine Geschichte für sich, die unseren Stammvater betrifft, meinen Urgroßvater Jemeljan Sjukin. Vielleicht ist es sinnvoll, sie zu erzählen, denn sie ist sehr lehrreich und bestätigt ein übriges Mal: Die Welt beruht auf einer festgefügten Ordnung, und wehe, man zerstört diese Ordnung – es kommt nichts Gutes dabei heraus.
Die Sjukins entstammen einer Leibeigenenfamilie aus dem Swenigoroder Landkreis im Moskauer Gouvernement. Mein Urahn Jemeljan Sjukin bediente von klein auf die Herrschaften; er gefiel durch Flinkheit und Aufgewecktheit, und so wurde er mit der Zeit belohnt: bekam saubere Kleidung, brauchte keine schwere Arbeit zu verrichten und wurde imLesen und Schreiben unterwiesen. Schließlich wurde er dem jungen Herrn als eine Art Spielkamerad beigegeben. Er las Bücher, nahm gewisse Manieren an, lernte sogar ein bißchen Französisch. Schlimm war, daß er sich seiner Herkunft zu schämen begann und höher hinaus wollte. Er verguckte sich in das gnädige Fräulein, die Tochter des Gutsbesitzers, aber nicht so, wie ich in die Großfürstin – in andächtiger Anbetung, sondern mit den dreistesten Absichten: Er setzte sich in den Kopf, sie zu heiraten. Hatte man je gesehen, daß ein leibeigenes Bürschchen eine Adlige heiratete? Ein anderer hätte davon geträumt und sich dann beschieden, aber Jemeljan war von Natur hartnäckig, er gab sich seinen Phantasien hin und glaubte, wie man heute sagt, an seinen Stern.
Von seinem Traum (man kann schon sagen, Plan) erzählte er keiner Menschenseele, schon gar nicht dem Fräulein. Als jedoch Rekruten ausgehoben wurden – wir waren damals mit den Franzosen im Krieg –, meldete er sich freiwillig für den Müllersohn, auf den das Los gefallen war. Er hatte noch nicht das nötige Alter, aber er war groß und kräftig und machte sich ein, zwei Jahre älter. Man ließ ihn gern ziehen, denn er war zu dieser Zeit frech und aufsässig geworden, und die Herrschaft wußte nicht, was sie mit ihm anfangen sollte.
So ging mein Urgroßvater zu den Soldaten. Von dem Müller, dem reichsten Mann im Dorf, hatte er eine Ablösung von siebenhundert Rubeln erhalten, die er aber nicht seinem Vater gab, sondern auf die Bank brachte.
Jemeljan wurde gleich in den Feldzug gegen die Österreicher geschickt, und er kämpfte sieben oder acht Jahre fast ohne Pause – gegen die Franzosen, die Perser, die Schweden, die Türken, wieder gegen die
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