Entführung des Großfürsten
ganz gewöhnliches, wie ich es auch benutze, aber das hier war rostig und schartig.
Ich begann mit zitternden Händen das Hemd aufzuknöpfen, wobei ich im stillen meinen Unverstand verwünschte. Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein! Fandorin war mir entwischt, aber das war das geringste Übel, Hauptsache, ich kam lebendig hier heraus.
Hinter den Ganoven tauchte ein Schatten auf, und eine träge, schleppende Stimme sagte: »Was isn hier los? Verpißt euch, ihr Ärsche.«
Fandorin! Wo kam der plötzlich her? Er war doch weggegangen!
»Was willste von uns?« winselte der Jüngere nervös. »Das hier is unser Hammel. Leben und leben lassen, Macker. Es gibt kein son Gesetz nich, daß man ehrlichen Kötern ihren Hammel wegnimmt!«
»Gesetz, ich geb dir gleich eins«, zischte Fandorin und schob die Hand ins Jackett. Da stießen mich die Räuber beiseite und stürzten davon. Doch die Livree und das Portemonnaie (es enthielt fünfundvierzig Rubel und Kleingeld) nahmen sie mit.
Ich wußte nicht, ob ich mich als gerettet betrachten konnte oder ob ich, wie man so schön sagt, vom Regen in die Traufe gekommen war. Das wölfische Fletschen, das Fandorins glattes Gesicht verzerrte, verhieß kaum etwas Gutes, und ich starrte voller Entsetzen auf seine Hand, die etwas aus der Innentasche zog.
»Nehmen Sie.«
Es war kein Messer und keine Pistole, sondern nur ein Taschentuch.
»Was m-mach ich nun mit Ihnen, Sjukin?« fragte Fandorin mit seiner gewöhnlichen Stimme, und die schreckliche Grimasse wich einem schiefen Feixen, das für meine Begriffe nicht weniger widerlich war. »Ich habe Sie natürlich schon im Neskutschny-Park bemerkt, aber ich n-nahm an, daß Sie sich nicht nach Chitrowka trauen und umkehren. Aber wie ich sehe, sind Sie kein Hasenfuß.«
Ich schwieg, was sollte ich darauf sagen.
»Ich hätte Sie Ihrem Schicksal überlassen sollen, dann wären Sie nackt hier abgezogen. Das wäre Ihnen bestimmt eine Lehre gewesen. Aber nun erklären Sie mir, Sjukin, weshalb haben Sie sich an unsere Fersen geheftet?«
Es machte mich ruhiger, daß er nicht mehr wie ein Gauner sprach, sondern ganz normal.
»Was Sie mir von dem Zeitungsjungen erzählt haben, hat mich nicht überzeugt«, antwortete ich, zog mein eigenes Taschentuch hervor, legte den Kopf zurück und drückte es auf die zerschlagene Nase. »Ich wollte es überprüfen.«
Fandorin grinste.
»Bravo, Sjukin, b-bravo. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so scharfsinnig sind. Sie haben völlig recht, Senka Kowaltschuk hat mir alles erzählt, was er wußte, und der Bengel hat eine gute Beobachtungsgabe – das bringt sein B-Beruf so mit sich. Außerdem ist er nicht auf den Kopf gefallen, er hat begriffen, daß ich ihn sonst nicht laufenlasse.«
»Und hat er gesagt, wo der Kerl mit dem ›breiten Maul‹ zu finden ist?«
»Nicht direkt, denn das weiß unser junger Bekannter natürlich nicht, aber seinen A-Auftraggeber hat er sehr ausführlich beschrieben. Urteilen Sie selbst: breites Maul, verkniffne Augen, rasierte Visage, Wulstlippen, Mütze mitLackschirm, kurzer schwarzer Kaftan, rotes Seidenhemd, knarrende Stiefel mit Lackgaloschen …«
Ich betrachtete Fandorins Aufzug und rief: »Na so was, Sie sind ja genauso angezogen. Moskau ist wohl voll von solchen Prachtkerlen.«
»Keineswegs.« Er schüttelte den Kopf. »In Moskau werden Sie kaum welche sehen, höchstens in Chitrowka, aber auch nicht v-viele. Das ist nicht einfach Kleidung, sondern höchster Chitrowka-Schick – rote Seide und Lackgaloschen. Nur die Macker, das heißt, die Banditen, die in der Hierarchie ganz oben stehen, erlauben sich solche Aufmachung. Damit Sie es besser verstehen, Sjukin, das ist bei denen so was wie eine Kammerherrenuniform. Haben Sie gesehen, wie diese ›K-Köter‹ vor mir getürmt sind?«
»Getürmt«, »Köter«, was für eine Art, sich auszudrücken. Von dem Staatsrat war nicht viel übriggeblieben. Dieser Mann erinnerte mich an ein vergoldetes Gefäß, von dem die obere Schicht abgeblättert war, und nun schimmerte vulgäres Messing durch.
»Was denn für ›Köter‹?« fragte ich und gab damit zu verstehen, daß ich ein Gespräch in der Gaunersprache ablehnte.
»›Köter‹, das sind kleine Gauner und Strolche. Für die ist ein Macker wie ich ein g-großer Chef. Aber Sie haben mich unterbrochen, und ich konnte Ihnen nicht das wichtigste Merkmal von Breitmaul mitteilen.« Er machte eine Pause und sagte dann mit bedeutungsvoller Miene, als eröffne er mir etwas sehr
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