Entführung des Großfürsten
Wichtiges: »Während des ganzen Gesprächs mit Senka, und das dauerte mindestens eine halbe Stunde, hat dieses Subjekt die rechte Hand in der Tasche behalten und unentwegt mit Kleingeld geklimpert.«
»Meinen Sie, diese Angewohnheit wäre geeignet, ihn zu finden?«
»Nein.« Fandorin seufzte. »Ich meine etwas ganz a-anderes. Im übrigen werden wir bald wissen, ob meine Vermutung richtig ist. Das muß Masa herausbekommen. Und wenn ich recht habe, werden wir Herrn Breitmaul suchen, während Doktor Lind mit der Polizei Katz und Maus spielt.«
»Wo ist denn Herr Masa?«
Fandorin machte eine unbestimmte Handbewegung. »Hier in der Nähe, in einem Keller, ist eine geheime chinesische Opiumhöhle. Nachdem sie voriges Jahr in Sucharewka ausgehoben wurde, ist sie nach Chitrowka umgezogen. Diese Leute wissen allerhand.«
»Spricht denn Herr Masa Chinesisch?«
»Ein bißchen. In seiner Geburtsstadt Yokohama leben viele Chinesen.«
In diesem Moment ertönte irgendwo hinter der Ecke ein kunstvoller Räuberpfiff, von dem ich Gänsehaut bekam.
»Da ist er ja.« Fandorin nickte befriedigt, legte die Finger auf eine besondere Weise zusammen und pfiff genauso, nur noch durchdringender – es gellte mir in den Ohren.
Wir gingen die Gasse entlang und stießen sehr bald auf den Japaner. Der wunderte sich nicht im geringsten, mich zu sehen, und verneigte sich nur förmlich. Ich nickte und kam mir ganz blöd vor ohne meine Livree und in dem blutbespritzten Hemd.
Sie schnatterten in einer mir unbekannten Sprache – japanisch oder chinesisch.
»Ich hatte recht«, geruhte Fandorin schließlich zu erklären. »Es ist wirklich ›Stumpf‹. Ihm fehlt eine Hand, darum die Angewohnheit, den Stumpf in der Tasche zu behalten. Einsehr ernst zu nehmender Bandit, der Anführer einer der neuen und hochgefährlichen Chitrowka-Banden. Die Chinesen haben gesagt, daß sie eine Absteige in der Podkopajewka haben, in den alten Weinkellern. Da kommt man nicht so einfach rein – sie stellen einen Posten auf, wie vor einer Kaserne, und geben sogar eine Parole aus … Das kriegen wir schon hin, aber was mach ich mit Ihnen, Sjukin? Nun habe ich Sie auf dem H-Hals. Sie in Chitrowka allein zu lassen ist ausgeschlossen – die schneiden Ihnen womöglich die Kehle durch.«
Diese Worte verletzten mich tief, und ich war drauf und dran zu sagen, daß ich keine Betreuung brauchte (obgleich der Gedanke, allein durch das abendliche Chitrowka zu gehen, wenig verlockend war), aber da fragte er: »Sagen Sie, Sjukin, verfügen Sie über körperliche Kraft?«
Ich reckte die Schultern und antwortete würdevoll: »Ich war Botenläufer des Hofes und Vorreiter. Ich mache jeden Morgen französische Gymnastik.«
»Na schön, wir w-werden sehen«, sagte Fandorin, und aus seiner Stimme klang kränkender Zweifel. »Also, kommen Sie mit. Aber unter einer Bedingung: keinerlei Eigenmächtigkeit, Sie hören w-widerspruchslos auf mich und Masa. Versprochen?«
Was blieb mir übrig? Unverrichteter Dinge zurückkehren? Ob ich überhaupt allein hier herausfand? Außerdem wäre es sehr gut, diesen Stumpf zu finden. Vielleicht hatte Fandorin recht, und die Polizeioperation auf dem Arbat schlug fehl?
Ich nickte.
»Aber Ihr Aussehen, Sjukin, ist wenig geeignet f-für Chitrowka. Sie könnten mich und Masa kompromittieren. Was machen wir aus Ihnen? Ich hab’s, einen versoffenen Lakaien aus gutem Haus.«
Bei diesen Worten bückte er sich, nahm eine Handvoll Staub auf und streute ihn mir über den Kopf, und die schmutzige Hand wischte er an meinem ohnehin rotbefleckten Hemd ab.
»So«, sagte er zufrieden. »Das sieht schon besser aus.«
Er hockte sich hin und riß die goldenen Schnallen von meinen Schuhen, dann zerrte er plötzlich heftig an meiner Hose, so daß die Naht hinten aufplatzte.
»Was machen Sie?« schrie ich in Panik und sprang zurück. »Gut so, Masa?«
Der neigte den Kopf, betrachtete mich abschätzend und bemerkte: »Tümpe su weis.«
»Richtig. Die Strümpfe müssen Sie ausziehen. Außerdem sind Sie viel zu glatt rasiert, das ist hier nicht comme il faut. Warten Sie…«
Er trat zu mir, und bevor ich protestieren konnte, verschmierte er mir den Dreck vom Kopf übers ganze Gesicht.
Mir war schon alles egal. Ich zog die weißen Seidenstrümpfe aus und steckte sie in die Hosentasche.
»Na schön, im Dunkeln mag’s gehen«, meinte Fandorin gnädig, und sein Kammerdiener würdigte mich sogar eines Lobs: »Sehr sön. Sehr sön.«
»Wohin jetzt? Zu diesem
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