Entführung des Großfürsten
bin’s!«
»Pollie!« Sie schlug die Hände zusammen. »Sie dürfen sich nicht begegnen, das würde den Jungen in eine peinliche Situation bringen. Schnell hier hinein!«
»Sofort!« rief sie. »Ich zieh mir nur Schuhe an!«
Derweil öffnete sie ein Abteil des großen Spiegelschranks und schubste mich mit ihrer spitzen kleinen Faust hinein.
In dem dunklen und recht geräumigen Eichenschrank roches nach Lavendel und Kölnisch Wasser. Ich drehte mich vorsichtig um, nahm eine möglichst bequeme Haltung ein und versuchte, nicht daran zu denken, was geschähe, wenn man mich hier entdeckte. Doch da bekam ich Dinge zu hören, die mich meine Situation vergessen ließen.
»Ich bete dich an!« sagte Großfürst Pawel. »Wie wunderschön du bist, Isabeau! Ich denke jeden Tag an dich!«
»Hör auf, Pollie, du bist verrückt! Ich habe dir doch gesagt, daß es ein Fehler war, der sich nicht wiederholen darf. Und du hast mir dein Wort gegeben.«
Mein Gott! Ich griff mir ans Herz, und bei dieser Bewegung raschelten die Kleider.
»Du hast geschworen, daß wir wie Bruder und Schwester sein wollen!« sagte sie mit erhobener Stimme, wohl um die unangebrachten Geräusche aus dem Schrank zu übertönen. »Außerdem hat dein Vater angerufen. Er wird jede Minute hier sein.«
»Nein!« rief Großfürst Pawel triumphierend. »Er ist mit den Engländern in die Oper gefahren. Niemand wird uns stören. Isabeau, was willst du überhaupt mit ihm? Er ist verheiratet, und ich bin frei. Außerdem ist er zwanzig Jahre älter als du!«
»Und ich bin sieben Jahre älter als du! Das ist für eine Frau viel mehr als zwanzig Jahre für einen Mann«, antwortete sie.
Seide knisterte, offenbar versuchte Großfürst Pawel die Ballerina zu umarmen, aber sie schien ihm auszuweichen.
»Du bist mein Däumelinchen«, sagte er feurig, »du wirst immer mein kleines Mädchen sein …«
Sie lachte auf. »Nun ja, ein kleines Hündchen bleibt bis ins Alter ein Welpe.«
Da klopfte es wieder an die Tür – noch nachdrücklicher als beim vorigen Mal.
»Gnädige Frau, Georgi Alexandrowitsch sind eingetroffen!« erklang die erschrockene Stimme des Zimmermädchens.
»Wie ist das möglich?« sagte Großfürst Pawel bestürzt. »Und die Oper? Jetzt ist alles aus, jetzt jagt er mich nach Wladiwostok. Mein Gott, was soll ich tun?«
»In den Schrank«, erklärte Frau Sneshnewskaja energisch. »Schnell! Aber nicht ins linke Abteil, rechts hinein!«
Neben mir knarrte eine Tür, und ich hörte, vielleicht drei Schritte entfernt, hinter einem vielschichtigen Vorhang von Kleidern stoßweises Atmen. Zum Glück kam mein Hirn den Ereignissen nicht hinterher, sonst wäre ich wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen.
»Na endlich!« rief die Ballerina freudig. »Ich habe schon gar nicht mehr darauf zu hoffen gewagt! Erst machst du Versprechungen, und dann läßt du mich warten.«
Es war das Geräusch eines langen Kusses zu hören. Hinter den Kleidern knirschte Großfürst Pawel mit den Zähnen.
»Ich hätte in die Oper gemußt, aber ich habe mich gedrückt … Pollie, dieser Lausebengel … Laß mich dein Hälschen küssen … und das hier, und das, unbedingt …«
»Nicht so hastig … Trinken wir zuerst ein Glas Champagner, im Salon steht schon alles bereit …«
»Zum Teufel mit dem Champagner! Ich brenne vor Verlangen! Meine Bella, ohne dich hatte ich hier die Hölle. Ach, wenn du wüßtest! Aber davon später, später … Mach den verflixten Kragen auf!«
»Nein, das ist unerträglich«, flüsterte es im Schrank.
»Du Verrückter … Deine ganze Familie besteht aus Verrückten … Du wolltest etwas von Pollie erzählen?«
»Der Junge ist nicht mehr zu zügeln! Nun schicke ich ihndoch zum Pazifik-Geschwader. Ich glaube, du bist ihm nicht gleichgültig. So eine Rotznase! Ich weiß, ich kann mich völlig auf dich verlassen, aber bedenke, daß er sich auf einer Schiffsreise eine häßliche Krankheit zugezogen hat …«
Der Schrank wackelte, die Tür sprang auf.
»Er lügt!« schrie Großfürst Pawel außer sich. »Ich bin ausgeheilt! So ein Schuft!«
»Waaas!« brüllte mit schrecklicher Stimme Großfürst Georgi. »Wie … Wie kannst du … es wagen?!«
Voller Entsetzen stieß ich die Tür einen Spalt auf, und was ich nun sah, hätte ich mir in meinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können: Die Hoheiten packten einander an der Gurgel, wobei Großfürst Pawel seinen Vater mit der Stiefelspitze gegen den Knöchel trat, während Großfürst Georgi seinen Sohn
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