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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Schicksal. Ich kann nur Männer dieser Familie lieben.«
    Die letzten Worte klangen bereits ganz ernst, als hätte Frau Sneshnewskaja in diesem Moment eine sie verblüffende und vielleicht nicht sehr freudige Entdeckung gemacht.

 
    13. Mai
    Ich befand mich in einer peinvollen Lage, aus der ich keinen Ausweg wußte.
    Einerseits waren nach der gestrigen Auseinandersetzung im »Loskutnaja« die Spannungen zwischen den Großfürsten glücklich beigelegt. Sie gingen beim Frühstück herzlich miteinander um, wobei sie nach meinem Dafürhalten weniger an Vater und Sohn erinnerten als an zwei Freunde, und darüber konnte ich mich nur freuen.
    Andererseits, als ich mit der Kaffeekanne in den Speiseraum kam und mit einer Verbeugung allen einen guten Morgen wünschte, sahen mich beide mit einem besonderen Ausdruck an und sagten, statt wie sonst nur zu nicken, ebenfalls »Guten Morgen«. Das machte mich ganz verlegen, und ich errötete wohl sogar.
    Ich mußte irgendwie das ungeheuerliche Mißverständnis aufklären, aber ich hatte nicht die mindeste Ahnung, wie ich ein solches Thema anschneiden könnte.
    Als ich dem Großfürsten Georgi Kaffee einschenkte, schüttelte er den Kopf und brubbelte vorwurfsvoll, doch zugleich, wie mir schien, anerkennend: »Nicht schlecht …«
    Meine Hand zitterte, und ich vergoß ein paar Tropfen auf die Untertasse.
    Großfürst Pawel sagte kein Wort des Vorwurfs, sondern dankte mir für den Kaffee, was noch schlimmer war.
    Ich stand an der Tür und litt entsetzlich.
    Mr. Carr schwatzte ohne Unterlaß und gestikulierte elegant mit seinen schlanken weißen Händen – er erzählte wohl von der Oper, denn ich fing ein paarmal das Wort »Chowanstschina« 19 auf. Lord Banville war wegen Migräne nicht bei Tisch erschienen.
    Ich nahm mir vor, an den Großfürsten Georgi heranzutreten und ihm zu sagen: »Die Meinung, die sich Eure Hoheit in Bezug auf mich und meine angebliche Beziehung zu der uns bekannten Person gebildet haben, entbehrt jeder Realität, und in den Schrank geriet ich ausschließlich deshalb, weil die erwähnte Person eine Kompromittierung des Großfürsten Pawel vermeiden wollte. Was die von ihr geäußerte Liebe zu meiner Wenigkeit betrifft, so ist dieses für mich schmeichelhafte Gefühl, sollte es denn bestehen, rein platonisch und bar jeder Andeutung von Leidenschaft.«
    Nein, das war wohl zu verworren und, schlimmer noch, kokett. Vielleicht sollte ich so sagen: »Die Ehrfurcht, die ich für Personen der kaiserlichen Familie und auch für deren Herzensdinge empfinde, würde mir selbst in meinen wildesten Phantasien nicht erlauben, mir einzubilden, daß …« In diesem Moment fiel mein Blick zufällig auf Leutnant Endlung, der mich voller Begeisterung ansah, die Brauen hob, mir dann zuzwinkerte und unauffällig den Daumen hochhielt, woraus ich schließen konnte, daß Großfürst Pawel ihm alles erzählt hatte. Nur mit größter Mühe wahrte ich eine unerschütterliche Miene.
    Gott der Herr unterwarf mich wahrlich harten Prüfungen.
     
    Als Großfürstin Xenia vom Tisch aufstand, flüsterte sie mir zu: »Komm zu mir.«
    Fünf Minuten später betrat ich schweren Herzens ihr Zimmer, im voraus wissend, daß mich dort nichts Gutes erwartete.
    Die Großfürstin hatte inzwischen ein Straßenkleid angezogen und ein Hütchen aufgesetzt, unter dessen Schleier ihre schön geschnittenen Augen energisch blitzten.
    »Ich möchte im Landauer ausfahren«, sagte sie. »Heute ist ein so heller sonniger Tag. Du wirst kutschieren, wie früher in meiner Kindheit.«
    Ich verneigte mich und fühlte Erleichterung.
    »Welches Paar befehlen Sie anzuspannen?«
    »Das rotbraune, es ist flinker.«
    »Sehr wohl.«
    Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Als ich bei der Freitreppe vorfuhr, stieg Großfürstin Xenia nicht allein ein, sondern mit Fandorin, der wie ein richtiger Dandy aussah: grauer Zylinder, grauer Gehrock, perlmuttfarbene Krawatte mit Perlennadel. Jetzt war mir klar, warum ich mich auf den Bock setzen sollte, nicht der Kutscher Saweli.
    Wir fuhren durch den Park, die Allee entlang, dann befahl die Großfürstin, zu den Sperlingsbergen abzubiegen. Die Equipage war neu und hatte Gummipuffer, und das Fahren war das reinste Vergnügen – kein Gerüttel und Geschüttel, nur ein leichtes Schaukeln.
    Solange die Pferde im Trab zwischen den Bäumen dahinliefen, verschmolz das gedämpfte Gespräch in meinem Rücken zu einem Hintergrundgeraune, doch auf der Großen Kalugaer blies ein heftiger Rückenwind,

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