Entführung des Großfürsten
unwahrscheinlich, daß sie wohl in der ganzen Weltgeschichte nicht ihresgleichen hat. Vielleicht hatten Madame Maintenon oder die Marquise de Pompadour im Zenit ihres Ruhms größere Macht besessen, aber ihre Stellung am Königshof war kaum so dauerhaft gewesen. Frau Sneshnewskaja, die, wie ich schon sagte, klügste aller Frauen, hatte eine wahrhaft große Entdeckung auf dem Gebiet der Favoritinnen gemacht: Sie unterhielt keine Liaison mit dem Monarchen oder einem Großfürsten, die leider sterblich oder unbeständig sind, sondern mit der Monarchie, und die ist ewig und unsterblich. Mit ihren achtundzwanzig Jahren hatte sie den Beinamen »Kronjuwel« erworben, und sie glich in der Tat einem kostbaren Kleinod aus dem kaiserlichen Brillantenzimmer: zierlich, zerbrechlich, unbeschreiblich schön, kristallklares Stimmchen, goldschimmerndes Haar, saphirblaue Augen.
Die kleine Tänzerin, die jüngste und begabteste in allen Ballettkorps von Petersburg, war schon dem seligen Zaren aufgefallen. Nachdem er den Reizen dieser Undine seinenTribut gezollt, hatte er in ihr etwas Größeres erkannt als nur den Zauber der Schönheit und Frische, nämlich Klugheit, Takt und die Anlagen zu einer treuen Verbündeten des Throns.
Da er staatsmännischen Verstand besaß und ein vorbildlicher Familienvater war, ließ sich der Zar nicht zu sehr vom Zauber der Debütantin hinreißen, sondern handelte weise (gewiß nicht ohne Bedauern) – er vertraute den Thronfolger, dessen übertriebene Frömmigkeit und sonderbare Unbeholfenheit ihm als Vater Sorgen bereitete, der Obhut der Tänzerin an.
Sie ertrug tapfer die Trennung von Seiner Majestät und widmete sich der wichtigen Staatsmission mit der gebührenden Verantwortung, so daß der Thronfolger sich bald merklich zu seinem Vorteil veränderte und sogar einige (übrigens gemäßigte) Streiche beging, womit er seinen gekrönten Vater endgültig beruhigte.
Zum Dank erhielt Isabella Sneshnewskaja einen herrlichen Palazzo in der Großen Dworjanskaja, Rollen ihrer Wahl im Marientheater und, das Wichtigste, eine Vorzugsstellung bei Hofe, um die sie von sehr, sehr vielen beneidet wurde. Doch sie blieb bei alledem bescheiden, mißbrauchte nicht ihren Einfluß und – kaum zu glauben – machte sich keine ernsthaften Feinde. Aus sicheren Quellen wurde bekannt, daß der verliebte Thronfolger ihr eine heimliche Ehe angetragen hatte, was sie vernünftigerweise ablehnte, und als sich zwischen ihm und Prinzessin Alice eine zarte Freundschaft entspann, segnete sie diesen Bund und nahm in einer rührenden Szene Abschied von dem »lieben Nicky«. Dieser Schritt machte sich später bezahlt, denn die neue Zarin wußte ihn zu würdigen und – auch etwas Einmaliges – bekundete derehemaligen Rivalin ihr Wohlwollen, besonders, als Isabella Sneshnewskaja nach einer angemessenen Zeit der Zurückgezogenheit ihr zärtliches Herz dem Großfürsten Georgi schenkte. Ehrlich gesagt, ich denke, daß sie durch diesen Wechsel nichts verlor, sondern in jeder Hinsicht nur gewann. Großfürst Georgi war ein stattlicher Mann, eine großzügige Natur und im Umgang unvergleichlich angenehmer als sein Neffe.
Ja, Isabella Sneshnewskaja war die Weisheit selbst. Ihr konnte ich alles erzählen. Sie wußte um die Bedeutung der Geheimnisse innerhalb des Herrscherhauses, denn sie selbst war deren Hüterin. Sie würde sich etwas Besonderes ausdenken, worauf weder der wendige Oberst Karnowitsch noch der furchteinflößende Großfürst Kirill und nicht einmal der schlaue Herr Fandorin kam.
Frau Sneshnewskaja bewohnte im Hotel »Loskutnaja« einen ganzen Flügel, was vom hohen Status dieser erstaunlichen Frau zeugte, denn jetzt, da die Krönungsfeierlichkeiten den Höhepunkt erreichten, kostete schon ein ganz normales Hotelzimmer das Fünffache seines gewöhnlichen Preises und war außerdem nicht zu bekommen.
In der Diele der Luxussuite standen zahlreiche Körbe mit Blumen, und aus der Zimmerflucht klang gedämpfte Klaviermusik. Ich übergab dem Zimmermädchen ein Kärtchen, kurz darauf brach die Musik ab, und die Ballerina kam zu mir heraus. Sie trug ein leichtes Seidenkleid von kräftigem Rosa, was sich eine andere Blondine kaum hätte erlauben können, aber sie sah darin nicht vulgär aus, sondern göttlich, ein anderes Wort finde ich nicht. Wieder war ich beeindruckt von ihrer lichten, porzellangleichen Schönheit, welche die selteneEigenschaft hat, daß sie einem immer von neuem den Atem verschlägt.
»Afanassi!« sagte sie
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