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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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am Ohr zerrte.
    Die Ballerina versuchte die Raufenden zu trennen, aber der General-Admiral gab ihr einen sachten Schubs, und sie flog zum Bett.
    »Afanassi!« rief sie im Befehlston. »Sie bringen einander um!«
    Ich sprang aus dem Schrank, bereit, die Schläge beider Parteien auf mich zu nehmen, aber das war nicht nötig, denn die Hoheiten starrten mich so entgeistert an, daß die Kampfhandlungen von selbst erloschen.
    Zufällig sah ich mein Gesicht im Wandspiegel und zuckte zusammen. Die Haare zerrauft, der Backenbart struppig, und an der Schulter hing ein rosa Wäschestück aus Spitze – ein Mieder oder ein Höschen. In völliger Ratlosigkeit nahm ich den beschämenden Gegenstand und steckte ihn in die Jackentasche.
    »Haben … Haben Sie irgendwelche Befehle?« stammelte ich.
    Die Hoheiten wechselten einen Blick, und beide sahen aus, als hätte plötzlich der Gobelin oder das Basrelief an der Wand zu ihnen gesprochen. Immerhin war die Gefahr eines Sohnes- oder Vatermords gebannt, und ich staunte wieder über die Geistesgegenwart und den Verstand dieser Frau.
    Etwas Ähnliches dachten wohl auch Vater und Sohn, denn sie sagten gleichzeitig fast dasselbe.
    »Bella, du bist eine erstaunliche Frau«, dröhnte Großfürst Georgi im Baß.
    Und Großfürst Pawel fiel in dünnem Tenor ein: »Isabeau, ich werde dich nie verstehen …«
    »Eure Hoheiten«, rief ich, als mir bewußt wurde, in was für einem lästerlichen Irrtum sich die Großfürsten befanden. »Ich bin … Ich habe nicht ….«
    Aber Großfürst Pawel hörte gar nicht hin, er drehte sich zu Frau Sneshnewskaja um und rief kindlich gekränkt: »Er,
er
darf also, und ich nicht?«
    Ich büßte vollends die Gabe der Rede ein und wußte nicht, wie ich aus dieser furchtbaren Situation herauskommen sollte.
    »Afanassi«, sagte die Ballerina mit fester Stimme. »Gehen Sie in den Salon und holen Sie uns Cognac. Und vergessen Sie nicht die Zitronenscheiben.«
    Ich stürzte mit unbeschreiblicher Erleichterung davon, um den Auftrag auszuführen, und hatte, ehrlich gesagt, keine Eile zurückzukehren. Als ich schließlich mit dem Tablett eintrat, bot sich mir ein völlig anderes Bild: Die Ballerina stand, und die Hoheiten saßen ihr zu Seiten auf Puffs. Ich mußte an eine Vorstellung im Zirkus Cinizelli denken, in den Mademoiselle und ich den Großfürsten Michail zu Ostern geführt hatten. Dort hatten auf Hockern brüllende Löwen gesessen, und einemutige grazile Dompteuse war mit einer riesigen Peitsche in der Hand vor ihnen auf und ab spaziert. Die Ähnlichkeit wurde noch dadurch verstärkt, daß alle drei – die stehende Ballerina und die sitzenden Großfürsten – gleich groß waren.
    »Ich liebe euch beide«, hörte ich und blieb an der Tür stehen, denn es wäre unpassend gewesen, jetzt mit dem Cognac hereinzuplatzen. »Ihr seid mir beide ganz nahe, du, Georgie, und du, Pollie. Ihr liebt einander doch auch, nicht wahr? Gibt es etwas Schöneres als verwandtschaftliche Gefühle und zärtliche Verbundenheit? Schließlich sind wir keine spießigen Kleinbürger! Warum hassen, wenn man lieben kann? Warum streiten, wenn man Freundschaft halten kann? Pollie wird nicht nach Wladiwostok fahren, er würde uns fehlen, und wir ihm. Wir werden alles aufs beste arrangieren. Pollie, wann hast du Dienst in der Garde-Equipage?«
    »Dienstags und freitags«, antwortete Großfürst Pawel und klapperte mit den Augen.
    »Und du, Georgie, wann mußt du zur Sitzung ins Ministerium und in den Staatsrat?«
    Großfürst Georgi antwortete mit dümmlicher (ich bitte um Verzeihung, aber es ist das treffende Wort) Miene: »Montags und donnerstags. Warum?«
    »Na wunderbar!« freute sich die Ballerina. »Dann ist ja alles klar! Du, Georgie, kommst dienstags und freitags zu mir. Und du, Pollie, montags und donnerstags. Und wir werden uns sehr, sehr lieb haben. Und streiten werden wir überhaupt nicht, weil es keinen Grund dafür gibt.«
    »Du liebst ihn genauso wie mich?« knurrte der General-Admiral.
    »Ja, denn er ist dein Sohn. Er ist dir so ähnlich.«
    »Und … und du liebst auch Afanassi?« Großfürst Pawel blickte sich nach mir um.
    Die Augen der Ballerina blitzten, und ich hatte plötzlich den Eindruck, daß ihr diese monströse Szene gar nichts ausmachte.
    »Auch Afanassi.« Ehrenwort, sie zwinkerte mir zu! Nein, unmöglich, wahrscheinlich kam es mir nur so vor, oder es lag an den Nerven, daß ihre Augenwinkel zuckten. »Aber anders. Er ist ja kein Romanow, und ich habe ein seltsames

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