Entfuehrung nach Gretna Green
und die Hand nach ihm ausgestreckt. Auf ihrem Gesicht lag ein hoffnungsvoller Ausdruck. Bei diesem Anblick stöhnte Ravenscroft auf und stürmte im Laufschritt durch die Tür hinaus in die Halle.
„Haben Sie das bemerkt?“ Mit glühenden Wangen ließ sich Miss Platt wieder auf ihren Stuhl fallen. „Oh, Miss Elisabeth, er hat mich angesehen ! “
„Hat er das getan?“, fragte Elisabeth mit gerunzelter Stirn. „Dann habe ich es wohl verpasst.“
„Er hat mich direkt angesehen!“ Hektisch wedelte Miss Platt mit der Hand, um sich Luft zuzufächeln. „Ich glaube ... er muss ... Ist es möglich, dass ihm etwas an mir liegt? Oh, Miss West, sagen Sie mir bitte, was Sie dazu meinen! Schließlich ist er Ihr Bruder.“
„Ich glaube nicht, dass Mr. West in der Lage ist, ehrliche Gefühle für jemanden zu entwickeln“, erwiderte Venetia. „Dazu ist er noch viel zu jung.“
Auf Miss Platts Gesicht erstarb das Lächeln.
Elisabeth sah die ältere Frau mitleidig an. „Was nur bedeutet, dass er noch nicht dazu fähig ist.“
Mühsam zog Miss Platt wieder die Mundwinkel hoch. Venetia kam sich vor, als hätte sie soeben einem hilflosen Welpen einen Fußtritt versetzt. „Es tut mir leid, Miss Platt. Ich bin wahrscheinlich nicht sonderlich geeignet, Mr. Wests Gefühle zu beurteilen.“
In dem offensichtlichen Bemühen, wieder Mut zu fassen, straffte Miss Platt ihre Schultern. „Das ist wahr, und ich weiß, was ich gesehen habe. - Sagen Sie, Miss Elisabeth, sollen wir uns nach oben begeben und unsere Sachen packen?“
Elisabeth nickte abwesend. „Natürlich. Gehen Sie doch schon vor. Ich komme gleich nach.“
Deutlich getroffen von dem offensichtlichen Versuch, sie loszuwerden, ließ Miss Platt ihren Blick zwischen Elisabeth und Venetia hin- und herwandern. „Aber Miss Higganbotham -Elisabeth - ich dachte, während wir packen, können wir uns über Romanzen unterhalten, da wir ja beide Expertinnen sind, was diesen wunderbaren Zustand betrifft.“
„Ja, gut. Aber vorher muss ich noch etwas mit Miss West besprechen. Gehen Sie ruhig vor, ich werde auch gleich da sein. Das hier dauert nicht lange.“
Mit einem Schnauben tat Miss Platt ihr Missfallen kund, marschierte aus dem Zimmer und schloss die Tür mit einem unüberhörbaren Knall hinter sich.
Elisabeth stand auf, ging zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und schaute hinaus. Offensichtlich zufrieden, schloss sie die Tür wieder und kam zurück zum Tisch, wo sie sich neben Venetia setzte. Mit leuchtenden Augen nahm sie Venetias Hand und umklammerte sie fest. „Ich muss mit Ihnen reden!“ „Gerne.“
Vertraulich beugte Elisabeth sich vor. „Es gibt niemanden außer Ihnen, dem ich vertrauen kann, Miss West. Mrs. Bloom ist voller Vorurteile und Miss Platt - nun, während der vergangenen Tage hatte ich ab und an das Gefühl, dass sie keine be-sonders nette Person ist.“
So ähnlich dachte Venetia auch. Seltsamerweise hatte sie zunächst angenommen, Mrs. Bloom sei eine schreckliche Person, die rücksichtslos auf Miss Platt herumtrampelte. Inzwischen hatte Venetia jedoch immer wieder erlebt, wie freundlich Mrs. Bloom zu ihrer Reisegefährtin war, während Miss Platt sich mehr und mehr als selbstsüchtig entpuppte.
Elisabeth seufzte schwer. „Es gibt niemanden sonst, an den ich mich wenden könnte. Bitte, Miss West - Venetia - versprechen Sie mir, dass Sie mich nicht im Stich lassen!“
„Ich werde tun, was ich kann“, erwiderte Venetia vorsichtig. „Elisabeth! “, rief Squire Higganbotham von draußen.
Das Mädchen warf einen gehetzten Blick in Richtung Tür. „Ich habe viel über das nachgedacht, was Sie zu Miss Platt gesagt haben, Miss West. Darüber, dass es wichtig ist, unabhängig zu sein, und eine eigene Meinung ... “
„Elisabeth!“ Der Squire hatte schon fast die Tür zum Gastraum erreicht.
Seine Tochter stand auf. Sie hielt immer noch Venetias Hand umklammert und sah sie mit ernstem Gesicht an. „Miss West“, stieß sie eilig hervor. „Kann ich Ihnen vertrauen?“
„Natürlich können Sie das, obwohl ich nicht weiß ...“
Die Tür wurde geöffnet, und der Squire stürmte herein. Er war dick eingepackt in seinen Mantel und seinen Hut und trug eine große Reisetasche, die mit Hemden und Westen vollgestopft war, von denen ein Teil schon wieder herausgefallen war und hinter ihm eine Spur durchs Zimmer zog.
„Ah, da bist du ja!“ Er stellte die Tasche auf den Tisch, und prompt fiel eine weitere Weste auf den Fußboden.
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