Entfuhrt
ihre Tochter die schnelle Mogelpackung mit der Fertigsoße lieber als Ylvas raffiniertere Variante. Wenn es Ylvas Soße gab, popelte Sanna mit chirurgischer Präzision alle lebensbedrohlichen Zwiebel- und Paprikastücke heraus, ehe sie mit dem Essen begann. Im Übrigen war sie eigentlich erfreulich neugierig auf alles, was auf den Tisch kam. Gab es etwas zu kritisieren, dann vielleicht die Langsamkeit, mit der sie aß. Ihr Verhältnis zur Zeit war das eines tibetanischen Mönchs.
Mike schaute auf die Straße und überlegte sich, ob er sie nicht doch anrufen sollte. Um sie zu fragen, ob sie zum Abendessen nach Hause kam oder nicht. Er beschloss, es zu unterlassen. Aus taktischen Gründen. Stolz war er nicht.
Ylva hatte vor einem Jahr eine Affäre mit einem Kunden gehabt. Ein Restaurantbesitzer mit einem bösartigen Grinsen, von dem Ylva offenbar nicht genug bekommen konnte.
Mike war außer sich gewesen. Das Ganze war ein nicht enden wollendes Drama gewesen. Mike war von seiner Frau abhängig. Er würde sich lieber bis ans Ende seiner Tage betrügen lassen, als ohne sie zu leben.
Trotzdem überkam ihn in schwachen Momenten Hass. Er hakte sich bei ihm unter und schlenderte neben ihm her, kam ihm viel zu nahe, stieß ihn an, pochte auf seine Aufmerksamkeit und lähmte ihn.
Tu was, ermahnte ihn die Stimme. Unternimm etwas.
In diesen Augenblicken schrumpfte die Welt, und der Himmel senkte sich wie eine Kellerdecke über Mikes Kopf.
Er hatte gelesen, dass es dem Betrügenden häufig am schlechtesten ging. Es ging um Bestätigung und um Projektion der Selbstverachtung auf andere. Dieser ganze Psychologenschwachsinn, den nur die Betrüger verstanden und auf den sie sich gerne beriefen.
Ein wenig genoss Mike seine Opferrolle auch. Zwar blieb ihm als betrogenem Ehemann die Anerkennung seiner Umwelt versagt, aber innerhalb der eigenen vier Wände konnte er dem Selbstmitleid und den vorwurfsvollen Blicken freien Lauf lassen.
Das war am Ende so weit gegangen, dass Ylva ihm ein Ultimatum gestellt hatte.
»Es ist nun mal geschehen. Entweder lassen wir
die Angelegenheit hinter uns und blicken nach vorne, oder …«
Sie hatte an der Spüle gestanden und Kartoffeln geschält. Sie hatte innegehalten und sich mit dem Kartoffelschäler in der einen und einer zur Hälfte geschälten Kartoffel in der anderen Hand umgedreht.
»Oder wir müssen eine andere Lösung finden.«
Danach hatte Mike den Namen ihres Liebhabers nie mehr erwähnt.
Die Frau hielt Ylvas Haar fest und zog ihren Kopf hoch.
»Wie fühlt sie sich an?«, fragte sie ihren Mann.
Sie sprach nicht lauter, obwohl Ylva schrie und weinte und zusammenhanglos über das sprach, was passiert war.
Die Frau wollte sich keine Sekunde der Erniedrigung entgehen lassen, dieser lange erwarteten Genugtuung.
»Als würde man den Schwanz in einen Eimer mit warmem Wasser hängen? Bestimmt ist sie ausgeleiert. Bei so vielen Männern, die in ihr drin waren.«
Die Frau zog sie an den Haaren.
»Bist du das? Ausgeleiert?«
Ylva heulte, Rotz lief ihr aus der Nase. Ihr Kopf bewegte sich im Takt mit den Stößen des Mannes. Vor Schmerzen verzog sie das Gesicht.
»Ich glaube, es gefällt ihr«, sagte die Frau. »Man sieht, dass es ihr gefällt. Du musst das öfter machen, Liebling.«
Ylva flehte.
»Bitte nicht.«
Die Frau beugte sich zu Ylva vor.
»Ich mache nichts«, flüsterte sie. »Ich schaue einfach nur zu.«
Die Bewegungen wurden schneller und hörten schließlich ganz auf. Der Mann erhob sich atemlos, zog seine Unterhose an und stieg wieder in seine Hose.
Die Frau ließ Ylvas Haare los und stand auf. Sie ging vor dem Mann her und schloss die Tür auf. Sie ließ den Mann vorgehen und folgte ihm dann.
»Sei froh, dass es nur einer war«, sagte sie und schloss die Tür hinter sich.
10. KAPITEL
Mike kochte Spaghetti und bereitete die rote Hackfleischsoße zu. Das Rezept sah folgendermaßen aus: Hackfleisch in der Pfanne anbräunen, Tomatensoße von Barilla darüberkippen, umrühren. Dazu gab es Ketchup und geriebenen Parmesan. Sanna trank Limonade, weil Freitag war, und er gönnte sich ein Glas Rotwein, weil ihm danach war.
»Wie war es in der Schule?«
»Gut.«
»Was habt ihr gemacht?«
»Weiß nicht, alles Mögliche.«
Sanna sprach mit vollem Mund.
»Und es gefällt dir in der Schule?«
Sanna nickte, während sie darauf achtete, mit geschlossenem Mund zu kauen.
»Das ist gut«, sagte Mike. »Du sagst doch Bescheid, wenn dir was nicht gefällt?«
Er bereute
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