Entfuhrt
kontrollierte. Einschmeichelnd und servil, aber auch ängstlich überwachend.
Obwohl sie es nie direkt gesagt hatte, war ihre Auffassung klar und deutlich:
»Du kannst mich nicht einsperren, Mike. Das geht nicht.«
Mike schlief rasch ein, wachte aber kurz nach zwei wieder auf. Er stellte fest, dass Ylva noch immer nicht zu Hause war, ging auf die Toilette und kehrte ins Bett zurück. Er hatte kein Licht im Bad gemacht und sich zum Pinkeln hingesetzt, um die Chancen zu erhöhen, dass er schnell wieder einschlief, aber als er wieder unter die Decke kroch, war er hellwach. Rotwein hatte bei ihm diesen Effekt. Erst wurde er schläfrig und träge, dann weckte ihn sein rascher Puls. Sein Gehirn schloss sich der Achterbahnfahrt an. Seine Gedanken waren dann immer finster und negativ.
Ylva. Er sah sie vor sich. Wie sie sich irgendwo in ein Bett fallen ließ, in das ihr rasch ein ambitiöser Liebhaber folgte, der sie leidenschaftlich auf den Mund küsste, dann auf ihren Hals, ihr die Bluse vom Leib riss, übertrieben und fast wie im Film, aber für die Agierenden selbstverständlich und echt.
Die begierigen Hände des Liebhabers, die sich zwischen Ylvas Beinen zu schaffen machten, ihre schwere Atmung, ihr halb ersticktes Stöhnen, als er in sie eindrang.
Mike öffnete die Augen, um die Bilder in seinem Kopf durch wirkliche Bilder zu ersetzen: das Fenster, der Radiowecker,
der Stuhl mit den Kleidern, der Schrank und der Spiegel. Das, was Realität war und was es in der wirklichen Welt gab.
Er knipste die Nachttischlampe an. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das Licht. 02.31 Uhr. Es war nicht spät, jedenfalls nicht übertrieben spät.
Ylva war mit ihren Kolleginnen unterwegs. Sie tranken Wein und unterhielten sich laut über Dinge, die mit der Arbeit zu tun hatten, gefühllose Vorgesetzte und eitle Männer, Beförderungen und ausgebliebene Beförderungen. Vielleicht unterhielten sie sich auch über die Vor- und Nachteile ihrer Ehemänner. Wer Probleme hatte, erhielt Beistand und Trost, und wenn dieses Thema abgehandelt war, stießen sie miteinander an und stellten unumstößliche Behauptungen auf.
Ich bin absolut der Meinung …
Was auch immer nach so einer Einleitung kommen mochte.
Oder nein, Männer hatten absolute Meinungen. Männer, die nichts zu sagen hatten. Männer, die in billigen Kneipen Bier tranken. Die weibliche Entsprechung lautete vermutlich: Also, ich finde schon, dass …
Ylva und ihre Kolleginnen würden bald in den Alltag zurückkehren, erleichtert, nachdem sie sich im Laufe des Abends einiges von der Seele geredet hatten.
Mike fragte sich, ob gelegentlich auch über ihn in seiner Funktion als Abteilungsleiter geredet wurde. Was seine Angestellten in dem Fall wohl sagten? Dass er weich war? Wahrscheinlich nicht, nicht am Arbeitsplatz zumindest.
Nicht deutlich genug? Nein. Welche negativen Ansichten hatten sie dann? Mike vermutete nüchtern, dass sie ihn wahrscheinlich für einen Roboter hielten. Leute, die bei ihm in Ungnade gefallen waren, nannten ihn vermutlich einen Psychopathen, womit gemeint war, dass er keine Rücksicht nahm. Fälschlicherweise, dachte Mike, da Psychopathen sensibel auf die Signale aus ihrer Umgebung reagierten. Selbst wenn es ihnen letzten Endes egal war und sie über Leichen gingen, um ihren Willen durchzusetzen.
Mike schob den Gedanken beiseite und war fast ein bisschen gerührt über das Interesse, das seine Mitarbeiter ihm in seiner Fantasie entgegenbrachten.
Mit der sicheren Gewissheit, fast viermal so viel zu verdienen wie Ylva und dass sie ohne sein Einkommen einen ganz anderen Lebensstandard hätte, schlief er ein.
12. KAPITEL
Die Viererbande, dachte Calle Collin und seufzte laut.
Jörgen Petersson hatte zu viel Geld, so viel war klar. Zu viel Geld, zu viel Zeit und zu wenig zu tun. War Ylva die Entsprechung von Maos Frau? Stellte er sich das Ganze so vor?
Calle ärgerte sich beinahe. Warum wandten sich alle Irren immer an ihn? Er zog Gestörte an wie ein Magnet. Ob er so tolerant wirkte? War er zu freundlich? Glaubten sie, dass er als Homosexueller den Schmerz des Ausgegrenztseins kannte und daher die Welt mit offenen Armen empfing?
Vermutlich Letzteres. Positive Vorurteile ließen sich ebenso schwer entkräften wie negative. Jörgen hatte ihn einmal als gutmütigen Schwulen bezeichnet. Calle hatte Jörgen gefragt, was er dann war, ein Hetero, der sich lieber mit Schwulen als mit Heteros umgab?
Die Viererbande. So ein Schwachsinn.
Was dachte sich
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